Nein, es geht nicht darum, den Krieg in der Ukraine zu verharmlosen oder zu relativieren. Doch abseits dieses die Medien dominierenden Kriegs gibt es viele Konflikte, die kaum beachtet werden, geschweige denn Solidaritätsbekundungen auslösen. Eine unvollständige Übersicht.
Raphael Berger
22. August 2022

Schon vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine tobte im Osten des Landes während acht Jahren ein Krieg. Die Folge: mindestens 14 000 Tote, darunter auch Zivilisten. Wo blieb der Aufschrei?

«In Nigeria geschieht ein Völkermord in Zeitlupe!», sagt Joel Veldkamp von «Christian Solidarity International» (CSI). Seit 2009 wurden mehr als 60 000 Christen ermordet und 20 000 Kirchen und christliche Schulen zerstört (s. a. «Der unbeachtete Genozid», factum 03/22, S. 48). Erst am 5. Juni 2022 stürmten islamische Terroristen eine Kirche und massakrierten mehr als 50 Christen. Als Reaktion auf die Ereignisse in Nigeria wollten Mitglieder des EU-Parlaments eine Debatte über die weltweit zunehmende Christenverfolgung führen, doch die Mehrheit des Parlaments weigerte sich, die Debatte überhaupt zu führen. Wo bleibt der Aufschrei?

Im Jemen herrscht seit 2015 Krieg. Das saudische Militär bekämpft dort mit Unterstützung der USA, Grossbritanniens und Frankreichs die vom Iran unterstützte Huthi-Miliz Ansar Allah. Jemen liegt an einer strategisch wichtigen Meerenge, wo täglich Millionen Barrel Öl durchgeschleust werden. In einer überparteilichen Studie zuhanden des US-Kongresses wurden Ende letzten Jahres die Gründe für den Krieg aufgeführt. Im Jemen agierten «internationale Terroristengruppen», heisst es da, und ein gescheiterter Staat Jemen wäre nicht nur eine Gefahr für die Schifffahrt, sondern würde es überdies dem Iran erlauben, «die Grenzen von Saudi-Arabien zu bedrohen». Das Resultat: Mindestens 300 000 Tote, zwei Drittel des Volkes sind nicht mehr in der Lage, sich ohne externe Hilfe ausreichend zu ernähren. Seit April herrscht eine Waffenruhe, doch die Zeichen stehen wieder auf Krieg (Stand Ende Juli 2022). Wo bleibt der Aufschrei? Im Sudan gibt es seit Jahren kriegerische Konflikte, auch hier wird weiter gekämpft, ebenso in Äthiopien, das sich derzeit im zweiten Bürgerkrieg befindet, der sich im Norden des Landes abspielt. Wo bleibt der Aufschrei?

Erinnern Sie sich noch an den Aufschrei, der (zu Recht) durch die Welt ging, als der Australier Brenton Tarrant 2019 in Neuseeland zwei Moscheen angriff und 51 Muslime tötete? Angesichts dessen ist es beschämend, wie oft wir bei Kriegen, Konflikten und der zum Himmel schreienden Christenverfolgung betreten schweigen. Leider gibt es Opfer und Opfer. Solche, die auf der richtigen und solche, die auf der falschen Seite stehen. Wo bleibt der Aufschrei?

Kommentar aus factum 05/2022