Die Schwierigkeit, geeignete Medikamente gegen Covid-19 und resistente Bakterien zu finden, hat auch damit zu tun, dass die Pharmazie und die Medizin den Naturstoffen als Grundlage der Medikamentenentwicklung den Rücken gekehrt haben.
Thomas Lachenmaier
27. November 2020

Das berichtet die Wissenschaftsredakteurin Jo Schilling in einem Beitrag für die «Technology Review». Sie beschreibt die Geschichte der Medizin als eine Geschichte der Naturstoffe. So setzten die Ägypter Fingerhut-Glycoside als Herzmedikament ein, die bis heute unverzichtbar sind. Seit der Antike kauen die Menschen bei Schmerzen Weidenrinde und tun dies heute nur deshalb nicht mehr, schreibt Schilling, «weil daraus das erfolgreichste Medikament aller Zeiten wurde» (Aspirin). Morphin aus Schlafmohn, Penicillin aus Pilzen oder Taxol aus Eiben sind weitere Beispiele von Medikamenten, die aus Naturstoffen entwickelt wurden. Zwischen den 1980er- und 1990er-Jahren stammten etwa 40 Prozent der neu zugelassenen Medikamente von Naturstoffen ab. Bei den Mitteln gegen Krebs und Infektionskrankheiten sei der Anteil sogar noch höher gewesen, so der Bericht. Doch in den 90er-Jahren kam eine Kehrtwende.

Die meisten Pharmaunternehmen stellten innerhalb weniger Jahre ihre Naturforschung ein, so Schilling. Der Grund ist, dass Naturforschung aufwendig ist und sich einfache, schnelle Erfolge mit Pflanzen hiesiger Naturräume nicht mehr realisieren lassen. Neue Verfahren der Analytik von Substanzen beschleunigten die Medikamentensuche der kombinatorischen Chemie, bei der Moleküle zu immer neuen Verbindungen zusammengesetzt werden. Zwei Jahrzehnte sei die Pharmaindustrie diesen Weg gegangen, mit mässigem Erfolg. Es seien kaum neue Medikamente «in der Pipeline» gelandet. Heute gebe es ein Umdenken. Aber die Lücke der ungenutzten Zeit und inzwischen auch Wissenslücken blieben. «Forschende kennen sich mit der Suche nach Naturstoffen kaum noch aus», so Schilling.

Quelle: Technology Review 8/20

Meldung aus factum 06/2020.