Die Theologie Rudolf Bultmanns hat Generationen von Pfarrern negativ geprägt. Eine Widerrede von Uwe Holmer, der Erich Honecker und dessen Frau in seiner Familie aufgenommen hatte.
Uwe Holmer
22. August 2022

Rudolf Bultmann (1884–1976) war Professor für Neues Testament in Marburg. Er beherrschte das Griechische (im Neuen Testament) ganz souverän. Viele haben bei ihm studiert. 1941 hielt er einen Vortrag zu dem Thema: «Neues Testament und Mythologie», in dem er radikale Kritik an den in der Bibel berichteten Wundern übte. Damit wurde er weit über den deutschen Sprachraum hinaus bekannt. Klipp und klar sagte er: Die Wunder des Neuen Testaments sind nicht geschehen. Sie sind aber auch nicht bedeutungslos. Sie sind Mythen, die eine Bedeutung für unser Leben haben. Wenn man sie «entmythologisiert und existenzial interpretiert», also auf unsere Existenz anwendet, geben sie unserem irdischen Leben einen Sinn. So kann man sie dann auch predigen.

Obgleich ich in Jena ein Seminar bei Prof. Gerhard Gloege über Bultmann besucht habe, konnte ich mich nicht dafür erwärmen, weil ich keinen Mythos predigen wollte, der sich nur auf das irdische Leben bezieht. Ich habe gedacht, die Sache mit dieser «Theologie» läuft sich sowieso tot. Aber weit gefehlt! Zunehmend wandten sich immer mehr Theologen dieser Lehre zu. Heute ist fast jede Kirchenleitung der EKD von Bultmann geprägt oder gar bestimmt. Deshalb hören wir von Kirchenleitern vor allem innerweltliche oder politische Ratschläge.

Bis zum Überdruss werden «existenziale» Predigten gehalten, die sich nur auf dieses irdische Leben beziehen. Das aber kann man ebenso gut in der Zeitung lesen. Dazu braucht man die Kirche nicht. Pastor Friedrich von Bodelschwingh hatte seinerzeit ausgerufen: «Bethels Ziele gehen in die Ewigkeit!» Der Verlust dieser ewig gültigen Botschaft ist der eigentliche Grund für den Auszug der Massen aus den Landeskirchen.

Zwei gravierende Fehler

In der ganz entscheidenden Frage machte Professor Bultmann zwei gravierende Fehler. So sagte er: «Die Wunder des Neuen Testaments sind nicht geschehen.» Das ist eine sehr eigenwillige Behauptung. Denn die Auferstehung Jesu haben alle Apostel erlebt und fast alle haben sie mit ihrem Märtyrertod besiegelt. Würde ein normaler Mensch sich für eine Botschaft töten lassen, von der er nicht ganz sicher ist, dass sie stimmt? Wären die Apostel nach Rom gegangen oder nach Indien oder weiter in die Welt, um die Auferstehung Jesu und das Reich Gottes zu verkündigen, wenn sie nicht absolut sicher gewesen wären, dass Jesus auferstanden ist? Kann man die Jünger Jesu für so dumm halten?
Noch dümmer ist die Behauptung, die Wunder des Neuen Testaments könnten nicht geschehen sein, weil alles auf der Erde von Naturgesetzen bestimmt ist. Bultmann sagte wörtlich: «Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.» Ich frage: Wieso? Hat etwa Karl Barth, der starke Ausleger des Wortes Gottes, Radio und medizinische Geräte abgelehnt? Und hat nicht Dietrich Bonhoeffer, als er im KZ Flossenbürg zum Galgen gehen musste, gesagt: «Dies ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens»? Er meinte den Beginn des Lebens bei Gott.

Bultmann hat sich, wie viele heutige Menschen, nicht klargemacht, dass wir längst nicht alles wissen. Ich trete vor die Haustür und schaue nach oben. Ich sehe den Sirius und den Polarstern, die Milchstrasse und den Andromeda-Nebel und ganze Sternenwolken. Plötzlich merke ich: Wir sind hier nur ein winziger Teil des riesigen Weltalls. So wenig wie man den Atlantik mit einem Zollstock ausmessen kann, so unmöglich ist es, das Weltall mit unserem geringen Wissen zu ermessen. Wer das Universum geschaffen hat, wer es so wunderbar ordnet, wozu wir Menschen geschaffen sind: Wir wissen es nicht – es sei denn, wir nehmen ernst, dass der Schöpfer sich uns geoffenbart hat und für uns hat aufschreiben lassen, was wir wissen sollen, damit wir geordnet leben und am Ende unseres Lebens bei Ihm ankommen.

«Ich sehe lauter Wunder»

Gläubige Juden und gläubige Christen erleben es: Die Bibel ist wirklich der Kompass zu einem Leben mit Gott und bei Gott. Und da masst sich nun ein sterblicher Mensch an, zu behaupten, die Wunder der Bibel seien nur «für unser irdisches Leben hilfreiche Mythen»! Und «Theologen», sogar Bischöfe, machen es ihm nach. Wie sie damit vor Gott einmal bestehen wollen, müssen sie selbst entscheiden. Ja, aus anderem Blickwinkel betrachtet, war Professor Bultmann auch einer der Dümmsten. Gewiss, ich weiss auch nicht, wo Himmel und Hölle sind. Aber das weiss ich, dass Gott Wunder getan hat und jederzeit tun kann. Denn Er ist der Schöpfer des Universums und hat uns zu seinem Ebenbild, also zu Ihm hin, geschaffen. Das ist die wichtigste und höchste Berufung für jeden Menschen.

Die Botschaft Jesu lautet: «Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt» (Joh. 11,25 f.). Bultmanns Lehre macht den Menschen klein, macht ihn zu einem rein irdischen Geschöpf, nimmt ihm seine Berufung und Würde als Ebenbild Gottes (1. Mose 1,27). Bultmann sagt: Wunder gibt es nicht. Ich aber sehe lauter Wunder um mich herum. Und durch sein Wort macht Gott das zusätzlich klar. Im Römerbrief 1,20 schreibt der Apostel Paulus: «Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie vernunftgemäss wahrnimmt, sodass sie keine Entschuldigung haben.»1
 

1     Siehe Walter Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch 1952, 4. Aufl. Seite 980 noe-o. Er übersetzt es mit eigenen Worten: «Das Unsichtbare (...) wird mit dem Auge der Vernunft geschaut». Im griechischen «nooumena kathoratai» steckt «nous» (Vernunft). Deshalb also: «vernunftgemäss».

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