
Vor einigen Jahren äusserte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: «Die Christen sind die besten Freunde Israels.» Wörtlich sagte er: «Israel has no better friends – I mean that – no better friends in the world than the Christian communities around the world.»1 Diese Aussage lässt heute auf eine besondere Verbindung zwischen evangelikalen Christen und Israel schliessen. Doch das war nicht immer so. Der Weg der Kirchengeschichte ist gepflastert mit antisemitischen Vorurteilen gegenüber Juden, wie ich das in meinem Buch «2000 Jahre Juden und Christen – zwei ungleiche Schwestern» ausführlich dargelegt habe.2 Man hat aus der Geschichte gelernt und Antisemitismus wird von allen Kirchen heute offiziell abgelehnt. Die Ursache dafür findet sich in den Schrecken des Holocaust und den Erkenntnissen daraus.
Aber Netanjahu meinte noch viel mehr. Er sprach von Christen, die aktiv den Staat Israel unterstützen und richtige Freunde Israels sind. Die Wurzeln dafür liegen in einer wörtlichen Lesart des Alten Testamens im 19. Jahrhundert und dem daraus entstandenen christlichen Zionismus, dem Glauben an die (endzeitliche) Rückkehr des Volkes Israel in ihr Heimatland. Als Gegenbewegung dazu entstand vor einigen Jahren etwas, was man als «christlichen Palästinismus» bezeichnen kann. Einer der frühesten und prominentesten Verwender des Begriffs ist Paul Wilkinson, ein britischer evangelikaler Theologe. Er gebrauchte den Ausdruck in seinem Buch «For Zion’s Sake: Christian Zionism and the Role of John Nelson Darby» (2007), um die palästinensische Befreiungstheologie zu kritisieren.
Die biblischen Wurzeln
Um die Problematik des christlichen Palästinismus in ihrer Tiefe zu erfassen, ist es notwendig, zunächst die biblischen Grundlagen der Verheissungen an Israel zu verstehen. Denn nur wer erkennt, was Gott seinem Volk im Alten und Neuen Testament tatsächlich zugesagt hat, kann beurteilen, wie gravierend die Abkehr mancher theologischer Strömungen von diesen Verheissungen ist.
Im Alten Testament wählt Gott Abraham aus und gibt ihm in Genesis 12,1–3 eine dreifache Verheissung:
1. Land: «Geh aus deinem Land in das Land, das ich dir zeigen werde.»
2. Nachkommenschaft: «Ich will dich zu einer grossen Nation machen.»
3. Segen: «In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.»
Dieser Bund wurde später durch ein einseitiges Versprechen Gottes bestätigt (Genesis 15). Gott selbst bürgte für die Erfüllung der Verheissungen. Dieser Bund ist ewig (Ps. 105,8–11), bedingungslos und wörtlich zu verstehen. Die Geschichte Israels zeigt, wie Gott sein Volk trotz wiederholter Untreue immer wieder in das verheissene Land zurückführte. Paulus hat es so formuliert: «Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar» (Röm. 11,29). Von der babylonischen Gefangenschaft bis zur modernen Rückkehr ins Land – Gottes Treue ist unwandelbar.
1 https://www.gov.il/en/pages/speechmuseum151017
2 Heimbichner, 2000 Jahre Juden und Christen – zwei ungleiche Schwestern, CMV Hagedorn, 2023. Siehe auch «Durch die Epochen hindurch», factum 3/24, S. 18
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