Die Unterwasserwelt steckt voller Überraschungen. Mehr als 50 Jahre nach der Entdeckung der Walgesänge haben Forscher nun entschlüsselt, wie die grössten Lebewesen ihre komplexen Laute erzeugen. Fast zeitgleich untersuchten Wissenschaftler, wie ein nur zehn bis zwölf Millimeter grosser Fisch Lautstärken von über 140 Dezibel erzeugen kann. Die zunehmende Verlärmung der Meere, unter anderem durch Windanlagen, macht den Walen zu schaffen.
factum-Redaktion
18. Juni 2024

Die Lautstärke, welche die winzige Fischart Danionella cerebrum erzeugt, ist vergleichbar mit dem Lärm, den ein Mensch in 100 Metern Entfernung beim Start eines Flugzeugs wahrnimmt. Die Fische leben in den flachen und trüben Gewässern von Myanmar und nutzen die Laute vermutlich zur Kommunikation. Mithilfe einer Kombination aus Hochgeschwindigkeitsvideos, Mikro-Computertomographie und Genexpressionsanalysen zeigten Forscher der Berliner Charité, dass die Männchen dieser Fischart über einen einzigartigen Schallerzeugungsapparat verfügen, der aus einem Trommelknorpel, einer speziellen Rippe und einem ermüdungsresistenten Muskel besteht. Der Muskel beschleunigt den trommelnden Knorpel und schiesst ihn auf die Schwimmblase, um einen schnellen, lauten Impuls zu erzeugen. Diese Impulse werden aneinandergereiht, um Rufe zu bilden, bei denen sich die Muskelkontraktionen entweder beidseitig oder einseitig abwechseln.

Auch Bartenwale wie Blau-, Grau- und Buckelwale sind auf die Erzeugung von Tönen angewiesen, die sich in den Ozeanen weit verbreiten. In einer in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Studie berichten Forscher der Universität Wien und der Universität von Süddänemark, dass einzigartige Strukturen im Kehlkopf der Bartenwale ihre tieffrequenten Laute ermöglichen. Dem winzigen Knorpel im menschlichen Kehlkopf entsprechen beim Bartenwal grosse, lange Zylinder. Sie bilden eine grosse U-förmige, starre Struktur. Diese erstreckt sich fast über die gesamte Länge des Kehlkopfes. Wahrscheinlich dient sie dazu, die Atemwege offen zu halten, wenn bei der intensiven Oberflächenatmung grosse Luftmengen ein- und ausströmen müssen. Diese U-förmige Struktur drückt gegen ein grosses Fettpolster im Inneren des Kehlkopfes. Wenn die Wale die Luft aus ihren Lungen an diesem Kissen vorbei drücken, beginnt es zu vibrieren und erzeugt die sehr niederfrequenten Unterwassergeräusche.

Die faszinierenden Ergebnisse zeigen aber auch eine bedauerliche Erkenntnis. Wale erzeugen ihre Laute exakt in den Meerestiefen und Tonfrequenzen, in denen der Lärm der menschlichen Schifffahrt häufig dominiert. Das schränkt ihre Kommunikation erheblich ein. Eine bisher kaum erkannte Gefahr für die gesamte Biodiversität und auch für den Lebensraum Meer sehen Fachleute im Infraschall, den Windenergieanlagen erzeugen. Infraschall ist sehr tieffrequenter Schall unterhalb der menschlichen Hörschwelle. Im Meer breitet sich Schall viermal schneller aus als in der Luft und «endet erst an einer Landmasse und nimmt mit der Tiefe, dem Druck und dem Salzgehalt zu». Zahlreiche Tierarten reagieren auf Infraschall mit Vergrämungsverhalten, so Dr. Ursula Bellut-Staeck, sie verlassen die Region. Aktuelle offizielle Daten dokumentieren, dass ein zunehmendes Stranden und Sterben von Walen an der Atlantikküste der USA zeitlich und geografisch mit dem Ausbau der Offshore-Windenergie korreliert. Der Infraschall von Windanlagen könnte auch mit der Übersterblichkeit von Walen, dem Rückgang der Schweinswalpopulation und der Fischbestände in Zusammenhang stehen.

Meldung aus factum 03/2024