Sie zeigen ein Verhalten, das bisher nur vom Menschen bekannt war: Die Florida-Holzameise (Camponotus floridanus) amputiert vorsorglich Gliedmassen, um verwundeten Artgenossinnen das Leben zu retten. Allerdings nur bei bestimmten Verletzungen. So wird verhindert, dass sich lebensbedrohliche Wundinfektionen im Körper der Ameisen ausbreiten.
factum-Redaktion
28. September 2024

Das berichtete eine Forschergruppe der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und der Universität Lausanne im Journal «Current Biology».

Die Erfolgsrate dieser Amputationen ist sehr hoch: Rund 90 Prozent der Tiere überleben die Behandlung und können trotz des Verlusts eines ihrer sechs Beine danach ihre Aufgaben im Nest wieder vollumfänglich ausführen. Die Forscher entdeckten, dass die Ameisen nur dann amputieren, wenn sich die Beinverletzungen am Oberschenkel befinden – egal, ob die Wunden steril oder mit Bakterien infiziert sind. Sind die Wunden dagegen am Unterschenkel, wird nie amputiert, sondern die Wunden werden mit einem höheren Aufwand intensiv ausgeleckt. Vermutlich säubern die Ameisen so die Wunden von Bakterien. Auch hier ist die Überlebensrate mit etwa 75 Prozent recht hoch.

Weshalb machen Ameisen bei Amputationen diese Unterscheidung? Um eine Antwort zu finden, führten die Forscher selbst Amputationen bei Ameisen mit verwundeten und bakteriell infizierten Unterschenkeln durch. Die Überlebensrate nach der Amputation lag überraschend bei nur 20 Prozent. Computertomographische Untersuchungen zeigten, dass im Oberschenkel der Ameisen viele Muskeln sitzen, deren Aktivität für die Zirkulation des «Ameisenblutes», der Hämolymphe, sorgt. Im Gegensatz zum Menschen haben Ameisen kein zentrales Herz, sondern mehrere über den Körper verteilte Herzpumpen. Verletzungen am Oberschenkel beeinträchtigen diese Muskeln und behindern so die Zirkulation des Blutes. Deshalb gelangen Bakterien nicht so rasch von der Wunde in den Körper, weshalb sich bei schnellem Handeln die weniger aufwändige Amputation lohnt. Im Unterschenkel hingegen liegen keine für den Blutfluss relevanten Muskeln, sodass die Bakterien bei einer Verwundung sehr schnell in den Körper gelangen können. Das Zeitfenster für eine erfolgreiche Amputation ist dann eng, die Chance auf Rettung durch Amputation gering, durch intensive Wundpflege jedoch viel höher. Genau das scheinen die Ameisen zu «wissen».

Die in der Studie untersuchte Ameisenart kommt im Südosten der USA vor. Die rotbraunen Tiere werden mit bis zu 1,5 Zentimeter Körperlänge relativ gross. Sie nisten in morschem Holz und verteidigen ihr Nest energisch gegen rivalisierende Ameisenvölker. Kommt es zu Kämpfen, besteht Verletzungsgefahr. Die Wissenschaftler untersuchten diese Ameisenart, weil die Tiere keine Metapleuraldrüse besitzen. Mit dieser Drüse produzieren andere Ameisenarten ein antibiotisch wirksames Sekret, das sie auf infizierte Wunden auftragen (s. a. Hocheffiziente Wundheilung, factum 2/24, S. 28). So kam die Frage auf, welche anderen Mittel Camponotus-Ameisen gegen Infektionen einsetzen. Dass es sich dabei um verletzungsspezifische Amputationen handelt, war eine grosse Überraschung.

Meldung aus factum 05/2024