
Ich hatte mir im Internet für die kalte Jahreszeit warme Strümpfe bestellt, die dann aber mit ihren grellen Farben so sehr ins Auge stachen, dass ich mir damit bei unserem älteren Sohn Martin feinen, aber erkennbar beissenden Spott einhandelte. Die Blicke meiner Frau sahen wie Beifall aus. Doch weil sie nun mal da waren, zog ich die Socken auch an. Weil ich im Haus nur Sandalen trage, kamen die Farben entsprechend zur Geltung.
An jenem Tag trug ich auch Hosen im Schlabber-Look. Um den Hals hatte ich über einer roten Jacke einen langen, grünen Schal. Nach dem Motto «Wer mich liebt, lacht trotzdem» sass ich in meinem Arbeitszimmer und knobelte an einer Komposition. Da steckte meine Frau den Kopf zur Tür herein und bat: «Ach, könntest du bitte die blaue Papier-Tonne auf die Strasse stellen?» Ich zögerte wegen meines Aufzugs kurz, wollte mich aber für den Augenblick – Garagentor auf, Tonne raus, wieder rein und zu – nicht extra umziehen. So öffnete ich das Garagentor und schob die Tonne rasch auf die Strasse. Als ich gerade zurücktreten will, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Besonderheit wahr, drehe mich um und sehe ein Bild des Jammers. Eine sturzbetrunkene Frau liegt neben ihrem Fahrrad vor unserem Haus, ihre schweren Einkaufsbeutel verstreut daneben. Dunkle Inkontinenzspuren auf ihrer hellen Hose unterstreichen, dass hier Einiges aus dem Ruder gelaufen ist.
Soll ich etwa in meinem Aufzug ...? Was sonst! Ich kann sie ja schliesslich nicht liegenlassen. Also trete ich auf die Strasse, schliesse die Garage, rede ihr gut zu, sammle die Beutel ein, richte das Fahrrad auf und gehe tapfer hocherhobenen Hauptes und mit wehendem Schal der schwankenden Frau voraus bis zu ihrem Haus. Wir sind ein seltsames Pärchen, passen aber irgendwie auch zusammen. Auf ihrem Hof bedankt sie sich trotz ihres Rauschs. – Der Rückweg ist wie ein Spiessrutenlauf unter Blicken; und wer nicht weiss, wie es zu diesem denkwürdigen Ausflug gekommen ist, mag denken: «Herrn Swoboda kennen wir eigentlich anders, aber na ja ...» Doch mit wem hat Jesus sich nicht alles in der Öffentlichkeit «blamiert» ...
Ein Artikel aus factum 04/2025