Der Anblick eines Schmetterlings erfreut unser Herz. Faszinierend ist die schier unermessliche Artenvielfalt. Eine Untersuchung der formenreichen Gattung Delias legt Schöpfung nahe.
Dr. Nigel Crompton und Dr. Reinhard Junker
26. August 2024

Schmetterlinge üben unter den Insekten wohl die meiste Faszination auf uns aus. Sie wirken zart und zerbrechlich und sind oft kunstvoll dekoriert. Viele von ihnen zeichnen sich durch die besondere Schönheit ihrer einzigartigen Flügel aus. Unter den heimischen Schmetterlingen gilt dies etwa für eine Gruppe unter ihnen, die nicht umsonst als Edelfalter bezeichnet wird: die Arten der Familie der Nymphalidae. Wer kennt nicht das Tagpfauenauge (Aglais io), den Kleinen Fuchs (Aglais urticae) oder den Admiral (Vanessa atalanta)? Die Ritterfalter (Papilionaceae) wie Schwalbenschwanz (Papilio machaon) oder Segelfalter (Iphiclides podalirius) sind ihnen in Bezug auf Schönheit und aussergewöhnlicher Musterung der Flügel ebenbürtig.

Wie alle Insekten haben Schmetterlinge die drei Körperabschnitte Kopf, Rumpf und Hinterleib. Der Kopf hat ein Paar hervorstehender, kugelförmiger Facettenaugen, die oft gefärbt sind und den Schmetterlingen ein Sichtfeld von fast 360° bieten. Zwischen den Augen befindet sich ein Paar segmentierter Fühler, die willentlich bewegt werden können und auf Sexuallockstoffe, Nektar und Futterpflanzen reagieren. Alle Schmetterlinge haben einen als Saugröhre ausgebildeten Rüssel, der oft aufgerollt wird, wenn er nicht benutzt wird.

Der Rumpf trägt die Flügel und Beine. Er verfügt über Muskeln, die je nach Art zwischen zwei und 20 Mal pro Sekunde mit den Flügeln schlagen können. Es gibt drei Beinpaare, wobei die Vorderbeine der bürstenfüssigen Schmetterlinge, insbesondere bei den Männchen, verkürzt sind, sodass der Eindruck entsteht, es gebe nur zwei Beinpaare. An den Beinen befinden sich Sensoren, die Vibrationen und verschiedene Geruchssignale registrieren. Der Hinterleib hat an den Seiten eine Reihe von Öffnungen, die der Atmung dienen. Er beherbergt auch die Verdauungs- und Fortpflanzungsorgane und ist oft farblich an die Flügel angepasst.

Das herausragende Merkmal aber sind zweifellos die Flügel. Sie sind auf der Ober- und Unterseite mit Schuppen bedeckt, denen die Schmetterlinge ihre wissenschaftliche Benennung verdanken: Lepidoptera (Schuppenflügel, aus dem altgriechischen lepís, Schuppe und pterón, Flügel). Darüber hinaus ist meist auch der gesamte Körper beschuppt. Diese Schuppen sind abgeflachte, circa 0,1mm lange Plättchen oder Haare. Tausende von ihnen bedecken dachziegelartig die Flügel und verdecken so die Flügeladern. Faszinierend, wie diese Schuppen wie winzige Mosaiksteinchen die Muster auf den Flügeln hervorbringen!

Zwei Modelle

Schmetterlinge bilden mit etwa 160 000 beschriebenen Arten eine ausserordentlich formenreiche Insektenordnung. Woher kommt diese schier unermessliche Vielfalt? Eine Untersuchung bei der formenreichen Gattung Delias, den sogenannten Jezebels, deren insgesamt circa 250 Arten etwa zur Hälfte ausschliesslich in West-Neuguinea vorkommen, hat interessante Ergebnisse erbracht. Die Jezebels gehören zur Schmetterlings-Familie der Pieridae, zu denen auch die bei uns vorkommenden Weisslinge gerechnet werden. Die Jezebels haben auf der Insel eine bedeutende adaptive Radiation durchlaufen, vor allem in den Bergregionen. Unter einer adaptiven Radiation versteht man die Aufspaltung in viele Arten innerhalb eines engeren Formenkreises beziehungsweise eines Grundtyps (= geschaffene Art). Die Vielzahl von Arten einer Radiation liefert solide Beobachtungsbelege, mit denen die Mechanismen hinter den Prozessen der Artbildung in der freien Natur untersucht werden können.

Um die grosse Artenvielfalt innerhalb von Grundtypen zu begründen, wurden zwei Mechanismen vorgeschlagen. Der in Biologie-Lehrbüchern beschriebene Mechanismus ist Mutation, verbunden mit Auslese der bestangepassten Formen (Selektion). Dieser ist nahezu unangefochtener Standard in der biologischen Fachwelt und geht auf Charles Darwin zurück (der allerdings Mutationen als Quelle für die beobachtete Variation innerhalb von Arten noch nicht kannte). Demnach entstehen durch zahlreiche vorteilhafte Mutationen des Erbmoleküls DNA neue Merkmalsausprägungen, Merkmale und auch neue Arten. Dieser Prozess ist sehr zeitraubend, denn vorteilhafte Mutationen sind selten und müssen sich erst über viele Generationen hinweg in den natürlichen Populationen durchsetzen.

Der zweite Mechanismus wurde erstmals von Gregor Mendel beschrieben, der durch seine Vererbungsversuche bei Pflanzen bekannt ist, und beruht auf präexistenten genetischen Programmen, Rekombination und Fortpflanzungs-isolation. Er ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Mutationen sind nach diesem Mechanismus nicht erforderlich und nur von untergeordneter Bedeutung für die Ausdifferenzierung von verschiedenen Arten. Stattdessen ist die Information für unterschiedliche Merkmalsausprägungen von Beginn an im Erbgut codiert, oft in einem latenten (nicht-ausgeprägten) Zustand. Alternative Merkmalsausprägungen sind von vornherein verfügbar, da die meisten Organismen diploid sind, also zwei Kopien jedes Gens besitzen, die unterschiedlich sein können (Mischerbigkeit). Dies ist Grundlage dafür, dass es durch unterschiedlichste Kombinationen der beiden Merkmalsausprägungen zu einer exponentiellen Anzahl von Kombinationen von Merkmalsausprägungen kommen kann. Neue Formvarianten bis hin zu neuen Arten beruhen auf neuen Kombinationen von dominanten und rezessiven Merkmalsausprägungen, die sich durch Fortpflanzungsisolation dauerhaft etablieren. Da nach diesem Modell ein grosses Ausmass an Unterschieden innerhalb eines Formenkreises beziehungsweise innerhalb eines Grundtyps von dessen anfänglicher Existenz an bereits vorhanden ist und nicht erst durch seltene vorteilhafte Mutationen aufgebaut werden muss, ist die Etablierung verschiedener Arten sehr viel schneller, unter Umständen bereits nach wenigen Generationen möglich. Es gibt weitere Grundlagen für eine präexistente Vielfalt, auf die hier aber nicht eingegangen werden kann (z. B. springende Gene).

Die Modelle im Test

Die beiden Mechanismen – Artbildung durch Anhäufung von Mutationen oder auf der Basis von präexistenter Variation – können bei einer der bemerkenswertesten adaptiven Radiationen von Schmetterlingen, der oben genannten Gattung Jezebel (Delias) aus Neuguinea, diskutiert und verglichen werden.

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