Damals wohnte ich in Freiburg im Breisgau und es ging mir nicht wirklich gut. Auch war es ein düsterer, kalter und nasser Novembertag.
Thomas Lachenmaier
30. November 2019

Die Landeskirche organisierte eine «Nacht der Kirchen» – mit Konzert in der einen, Lesung in der anderen und Kunst und anderem in weiteren Kirchen. Eine Gemeinde hatte sich vorgenommen, an diesem Abend alle Lieder von Paul Gerhardt, und zwar jeweils alle Strophen, mit den Gästen zu singen – und im badischen Gesangbuch sind sehr viele Lieder von Paul Gerhardt. Ich radelte einen langen Weg durch eisigen Regen, durch das Dunkel zu der Kirche.

Der Organist war da, unterstützt von einigen weiteren Musikern. Die Gäste kamen von den unterschiedlichsten Gemeinden, Alte und Junge, Landeskirchler und Freikirchler und suchten verstreute Plätze in den Bankreihen. Ungefähr alle halbe Stunde gab es eine kleine Pause, man konnte etwas trinken, sich mit Hefezopf stärken. Schliesslich versammelten sich alle, es mögen 30, 40 Menschen gewesen sein, auf der Empore, wo die Musiker waren, und gruppierten sich im Halbkreis um diese herum. Ein schönes Bild.

Bald war klar, dass das sehr, sehr lange dauern würde, viel länger, als die Einladenden gedacht hatten. Aber es gab bald unter den Gästen so etwas wie eine unausgesprochene Vereinbarung, ein Versprechen: «Wir bleiben alle, bis wir fertig sind, egal, wie lange es dauert!» Dann geschah im Singen etwas Wundersames, eine wunderbare Vereinigung der Gäste. Jeder spürte: Hier geschieht etwas mit uns, es ist aussergewöhnlich und grösser als wir. Gottes Wort erklang in der Weite der Kirche, zunehmend kräftig und fröhlich, jubelnd gesungen. Gottes Wort und Wohlklang erfüllte Raum und Herzen. In der kalten Novembernacht umhüllte ein Schalom die Teilnehmenden. Sie waren nicht allein. Wir waren nicht allein.

Es dauerte bis nach Mitternacht. Ein besonderer Abend, sicher unvergesslich für alle Teilnehmenden. Mit einem Leuchten gingen wir ins Dunkel hinaus, jeder in sein jeweiliges Leben. Gestärkt. Kaum habe ich etwas Bewegenderes und Schöneres in einer Kirche erlebt. Der Heimweg war von anderer Art als der Hinweg. Ein fröhlicher Radler in dunkler, kalter Nacht. Unbekümmert.

Meldung aus factum 09/2019.