Die Anzahl von Kindern, die an Depressionen leiden und die Fälle von Selbstmordversuchen oder gar dem Freitod von Kindern steigen in Dänemark seit Jahren dramatisch. Nun werden speziell für den Schulbedarf entwickelte Applikationen eingesetzt, um die Gefühle der Schüler digital zu erfassen. Warnungen von Psychologen bleiben vorerst ungehört.
Carola Bruhier
30. August 2023

«Mood Monitoring», also das Überwachen und Vermessen von Gefühlslagen in Schulen durch speziell entwickelte Apps, soll helfen, die massiven psychischen Probleme von dänischen Schulkindern in den Griff zu bekommen. Das benennt ein Artikel in der MIT Technology Review vom April 2023.1 In dem digitalen Vorzeigeland Dänemark, Heimatland des christlichen Philosophen Sören Kierkegaard (1813–1855), hat sich die Zahl der Kinder, die an Depressionen leiden, in den letzten Jahrzehnten versechsfacht, die Zahl an Selbstmordversuchen und von Freitod bei Kindern und Jugendlichen steigt seit Jahren dramatisch. Digitale Endgeräte im Unterricht sind selbstverständlich in dem skandinavischen Land, wo 98 Prozent der dänischen Zehn- bis Fünfzehnjährigen Zugang zu einem Smartphone haben. Zusammen mit Finnland steht Dänemark an der Spitze des Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft der Europäischen Union.2

Speziell für den Schulbedarf entwickelte Applikationen wie Woof, Bloomsight, Moods oder Klassentrivsel werden nun im Unterricht eingesetzt, um die Gefühle der Schüler zu erfassen und zu helfen, gemeinsam das Klassenklima und damit das Wohlbefinden der Schüler zu verbessern. In einer Art Klassenlehrerstunde präsentiert der Lehrer am Whiteboard die Datenlage der Klasse, die er durch die digitale Rückmeldung seiner Schüler bekommen hat. Gemeinsam wird dann an Themen wie Schlafhygiene, Medienkonsum, Sport- und Freizeitaktivitäten oder soziales Miteinander gearbeitet, um den Punktestand für ein besseres Klassenklima zu erhöhen. Während Woof mit anonymisierten Daten arbeitet, erfasst Bloomsight, eine App, die auch in den USA an Brennpunktschulen genutzt wird, die Daten einzelner Schüler und ihre Interaktion in Soziogrammen. Die App wird hier auch wie eine Art Frühwarnsystem genutzt, um möglichen Selbstmordabsichten oder Amokläufen vorzubeugen.

IT-Experten, Bildungsforscher, Lehrer und auch Eltern sind alarmiert wegen möglichem Datenmissbrauch. Eine Einverständniserklärung der Eltern braucht es für den Einsatz in den Schulklassen nicht. Die Klage eines Elternteils wurde abgelehnt mit der Begründung, dass es zum Pflichtauftrag des Staates gehöre, die Schüler beim sozialen Miteinander zu fördern. Die Warnungen von Psychologen, wonach die Probleme der Kinder durch ständige Selbstbeobachtung und Kontrolle noch verschärft werden könnten, werden im Wohlfühlland Dänemark vorerst nicht berücksichtigt. Sören Kierkegaard: «Ich unterhalte mich am liebsten mit Kindern: denn von ihnen darf man doch hoffen, dass sie noch vernünftige Wesen werden; die es aber (so sagt man) geworden sind – o Jerum, Jerum!»3

1    https://www.technologyreview.com/2023/04/17/1071137/denmark-teachers-apps-student-mood-audit-software/
2    https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/desi
3    ein veralteter Ausdruck des Erschreckens, bedeutet so viel wie «jemine». Aus: Sören Kierkegaard, «Entweder – Oder» (1843)

Meldung aus factum 05/2023