Die Energiewende basiert auf einem düsteren, materialistischen Menschenbild, ruiniert das Gemeinwohl – und wird scheitern. Sie weist Züge einer religiösen Bewegung auf.
Dr. Lukas Weber
14. Dezember 2022

Es gibt Redewendungen, die schlecht altern, und andere, die mit der Zeit immer besser werden. Zu den letzteren gehört zweifellos dieser Ausspruch von Gilbert Keith Chesterton: «Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.» Mir kommt dabei die auf allen Kanälen verbreitete Behauptung in den Sinn, dass der menschengemachte Klimawandel das Ende der Welt bedeute und dass alle heute mobilisierbaren Mittel für die Senkung des CO2-Ausstosses eingesetzt werden sollten. Westliche Politiker legitimieren damit radikale Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft, mit schwerwiegenden Folgen für das Leben und Wohlergehen der Völker. Die Schweiz hat 2017 den Verzicht auf Kernkraftwerke beschlossen, inspiriert vom deutschen Ausstieg aus der Kernenergie, der drei Tage nach dem Atomunfall in Fukushima in die Wege geleitet wurde. Das Gesetzespaket dazu hiess «Energiestrategie 2050» und wurde mit 58 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen.

«EnergieWende» als säkulare Heilsgeschichte

Es gibt kaum ein Land, das aus kulturellen und politischen Gründen für die Idee einer Energiewende empfänglicher ist als Deutschland. Da ist zum einen die tief in der deutschen Romantik verwurzelte Naturverbundenheit – das Natürliche, Gefühlsbetonte und Ländliche als Gegensatz zum Zivilisierten, Rationalen, Urbanen. Zum anderen das deutsche Schuldgefühl, das aus dem Zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen Nationalismus und Militarismus resultiert und die Kernenergie gedanklich in die Nähe von brutaler Rücksichtslosigkeit und Massenzerstörung gerückt hat.1 Die Beschwörung einer Abkehr vom Bösen und einer Rückkehr zum Guten im Begriff «Wende» hat darüber hinaus dazu beigetragen, die «Energiewende» zu einer spirituell aufgeladenen Angelegenheit, einer «Umkehr», ja sogar zu einer Art säkularer Heilsgeschichte zu machen. Dies immunisierte diese radikale Politik in Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern von Anfang an gegen die Vielzahl von Zweifeln und begründeten Einwänden, die wirtschaftliche Tragfähigkeit und die gesellschaftliche Erwünschtheit betreffend.

Einst galt die Atomtechnologie sogar unter Linken als Inbegriff des technischen Fortschritts, der die soziale Entwicklung vorantreiben würde. Sowohl konservative als auch linke Politiker waren für die Kernenergie. Einer der grössten Befürworter des Baus des ersten Kernkraftwerks in der Schweiz war der sozialdemokratische Bundesrat Willy Spühler. Er beschwor 1963 Kernenergie als «sicherste und von allen ausländischen Einwirkungen unabhängigste Energie». Die Umweltschutzorganisation Pro Natura (die damals noch «Schweizerischer Bund für Naturschutz» hiess), plädierte für Atomenergie. Rund 50 Jahre später, Anfang 2011, verkündete die gleiche Organisation: «Atomstrom ist und bleibt dreckig, gefährlich, teuer und nicht CO2-neutral. Deshalb fordert Pro Natura den Atomausstieg.» Was war geschehen?

1    Mehr dazu in Frank Biess, Republik der Angst: Eine andere Geschichte der Bundesrepublik (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2019).

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 01/2023