Die systematischen Misshandlungen auf Guantanamo und an anderen Orten gingen auch nach dem Bekanntwerden von Folterungen vor 20 Jahren unter den Präsidenten Bush und Obama weiter. Das offenbart ein detaillierter und umfassender Bericht (1) der amerikanischen Universität Seton Hall Law School in Newark.
Thomas Lachenmaier
15. Juni 2023

Er zeigt das monströse Ausmass der Misshandlungen im Detail und beruht unter anderem auf detaillierten Schilderungen des Gefangenen Abu Zubaydah mit 40 Zeichnungen von ihm. Fünf Jahre lang, oft über Tage hinweg und manchmal 24 Stunden am Stück, wurde Zubaydah gefoltert. Die kaum fassbaren Enthüllungen finden in den deutschsprachigen Medien jedoch praktisch kein Echo. In England berichtete der Guardian darüber2, in der Schweiz die Weltwoche3.

Bei Zubaydah und mindestens 119 weiteren Häftlingen wurden die «Enhanced Interrogation Techniques» (EIT, «Erweiterte Verhörtechniken») angewendet. Nackt wurde er bis zur Ohnmacht misshandelt. Die Folterer, darunter auch Frauen, prügelten ihn bis zur Bewusstlosigkeit, setzten ihn ohrenbetäubender Musik aus, sperrten ihn tagelang in kleine Kisten, quälten ihn mit Schlafentzug. Zubaydah wurde verschiedenen Methoden des «Waterboarding» ausgesetzt, einem Verfahren, bei dem der Gefangene bis an die Grenze des Ertrinkens geführt wird. Tagelang lag er gefesselt in einer Art Holzsarg, der mit Wasser gefüllt wurde.

Eine Anklage gibt es nicht. Obwohl seine Unschuld mittlerweile erwiesen ist, gilt Zubaydah als «ewiger Gefangener», ohne Aussicht auf Entlassung. Seit 21 Jahren ist der ursprünglich des Terrors verdächtigte, heute 52-Jährige in amerikanischer Haft, unter anderem auch in Europa. Die CIA und das FBI hatten versucht, dieses Programm geheim zu halten. Ein 6700-seitiger detaillierter Folterbericht des Geheimdienst-Ausschusses des Senats ist weiterhin geheim, Videoaufnahmen wurden, entgegen einem Gerichtsbeschluss, gelöscht.

In Russland wiederum verbrachte Alexej Nawalny, der wichtigste Oppositionspolitiker, seinen dritten Geburtstag in Serie hinter Gittern, diesmal sogar in Einzelhaft, dem Ort für «besonders schuldige Häftlinge». Hier brennt das Licht rund um die Uhr, es gibt kein Bettzeug, zudem ist es stets zu kalt oder zu heiss. Bislang verbrachte Nawalny 180 Tage in Einzelhaft, was seinen Gesundheitszustand stark beeinträchtigte. Er litt unter starken Rückenschmerzen, seine Sehkraft liess nach und er hatte auch hohes Fieber. Bald soll ihm der Prozess gemacht werden, dem Politiker drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis. Nawalny ist jedoch nur einer von zahlreichen Oppositionellen in Russland, die entweder im Gefängnis sitzen oder vor Gericht stehen.

Warum berichten viele Medien über Nawalny, aber nur die wenigsten über Guantanamo? Vielleicht, weil es nicht in das neue Schema passt von «Wir, die Guten» und «Die, die Bösen», gegen die man Krieg führen muss? Letztlich sind beides Auswüchse des Bösen im menschlichen Herzen ohne Gott.

1    https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4443310
2    https://www.theguardian.com/law/2023/may/11/abu-zubaydah-drawings-guantanamo-bay-us-torture-policy
3    https://weltwoche.ch/daily/schockierende-us-folter-studie-ertrinken-vergewaltigung-schlaege-und-giftige-tiere/

Meldung aus factum 04/2023