Wer sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, wird fündig werden. Der Physiker und Raumfahrtmanager Dr. Albrecht Kellner über seinen Weg zum Glauben: eine Expedition zum Ursprung.
Bettina Hahne-Waldscheck
30. April 2018

factum: Herr Kellner, schon als Kind haben Sie sich die Frage nach dem Sinn Ihres Daseins gestellt, deshalb entschieden Sie sich für das Studium der Physik. Von den Naturwissenschaften erhofften Sie sich Antwort darauf, woher wir kommen und wohin wir gehen. Hatte sich Ihre Hoffnung erfüllt?
Albrecht Kellner: Schon nach fünf Semestern an der Universität Göttingen wurde mir klar, dass diese Hoffnung nicht erfüllt werden konnte. Die Physik entpuppte sich als eine für meine Fragen nicht zuständige Instanz. Ich musste feststellen, dass mir kein Physiker so Grundlegendes wie etwa die Gravitation erklären konnte. Das eigentliche Wesen, die Essenz dieses Phänomens, wird nicht geklärt, es bleibt rätselhaft. Die Physik geht von der Vorgegebenheit der Phänomene aus, ohne diese Vorgegebenheit ihrem eigentlichen Wesen nach weiter zu hinterfragen. Ihre Zielsetzung besteht lediglich darin, diese weiterhin als rätselhaft belassenen Phänomene zu beobachten, auf Gesetzmässigkeiten zu untersuchen und diese in die Sprache der Mathematik zu übersetzen. Die Physik erklärt nicht, sie beschreibt nur.

factum: Sind physikalische Gesetze denn nicht in Stein gemeisselt, wie man immer denkt?
Kellner: Physikalische Theorien sind von einer gewissen Unsicherheit gekennzeichnet, da sich die zugrunde liegenden Modelle immer einer Überprüfung durch weitere Experimente stellen müssen. In diesem Sinne sind sie nie endgültig, da sie jederzeit durch neue empirische Erkenntnisse relativiert werden können. Das heisst, dass die Physik nicht nur das Wesen der Natur lediglich beschreibt, statt es zu erklären, sondern auch, dass diese Beschreibungen selbst einer ständigen Relativierung unterworfen sind.

factum: Später befassten Sie sich dann auch mit der Evolutionstheorie. Zu welchen Ergebnissen kamen Sie?
Kellner: Mir erschienen diese Theorien nicht ganz einleuchtend. Darwin schloss von der beobachtbaren Mikro-Evolution (evolutive Veränderungen innerhalb einer Art) auf eine Makro-Evolution (Evolution einer Art zu einer anderen, die höher entwickelt ist). Doch gibt es dafür keine empirischen Belege. Es müsste beispielsweise anhand archäologischer Funde nachgewiesen werden, dass ein Affe durch eine Mutter einer primitiveren, von den Affen eindeutig verschiedenen Art geboren wurde. In der Natur waren solche eindeutigen Artensprünge nie zu beobachten.

factum: Der Evolutionstheorie zufolge hat sich der erste Einzeller aus unbelebter Materie gebildet. Erschien Ihnen das plausibel?
Kellner: Es musste durch Zufall eine Zelle entstehen, die einen internen Energiespeicher beinhaltet, dazu eine DNA-Sequenz aus 100 000 Nukleotiden zur Speicherung des Bauplans einer Zelle. Zudem eine Möglichkeit zur Herstellung eigener Proteine, ein Trägerstoff, die sogenannte Boten-RNA in Form von Aminosäuren zur Kopie und zum Transfer der genetischen Information aus dem Zellkern in die Zelle hinein – und das alles umschlossen von einer nahrungs- und abfallsdurchlässigen Membran. All diese komplexen Strukturen hätten ja gleichzeitig und dann noch direkt am selben Ort entstehen müssen, denn einzeln hätten die Bausteine der Zellen nicht lange überlebt. Statistisch erschien mir ein derartiger Zufallstreffer weitgehend ausgeschlossen zu sein.

factum: Hat es Sie verblüfft, dass die Evolutionslehre dennoch als gesichertes Wissen angesehen wird?
Kellner: Ja, und dann auch, dass daraus gefolgert wird, dass es gar keinen Urheber gibt. Das ist vergleichbar mit der Behauptung, dass es keinen Erfinder oder Entwickler eines Radios gibt, weil man meint, die Funktionsweise des Radios verstanden zu haben.

factum: Die Naturwissenschaft gab Ihnen keine befriedigenden Antworten. Wie gingen Sie weiter vor?
Kellner: Ich kam zu dem Schluss, dass ich einer erweiterten Wahrnehmungsfähigkeit bedurfte, um in meiner Suche nach dem Ursprung und ob es einen Gott gab, weiterzukommen. Also probierte ich bewusstseinserweiternde pflanzliche Substanzen aus.

factum: Was für Erfahrungen machten Sie damit?
Kellner: Alles erschien um ein Vielfaches intensiver und individueller. Die Musik eines Streichorchesters erschien als ein vollkommen transparentes Nebeneinander der einzelnen Instrumente. Es war mühelos möglich, die Polyphonie in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Eigentlich handelte es sich eher um eine Fokussierung auf Einzelnes, also eher um Bewusstseinsverengung als -erweiterung.

factum: Eigentlich hört sich das positiv an, was Sie über die Musikerfahrung sagen.
Kellner: Nicht wirklich. In dieser übersteigerten Wahrnehmung lediglich einzelner Aspekte des Lebens und dem damit einhergehenden Verlust der Lebensbalance lauert eine gleichermas-sen subtile wie lebensbedrohliche Gefahr für jeden, der zu bewusstseinserweiternden Mitteln greift. Man beschäftigt sich unablässig mit der eigenen Psyche und verliert den Bezug zur Wirklichkeit. Es besteht die Gefahr einer Abhängigkeit durch das Faszinosum, das hier vermittelt wird. Die Erfahrungen wurden immer verwirrender, und ein Hinweis auf etwas Endgültiges, auf den tieferen Sinn des Lebens, war nirgendwo in Sicht.

factum: In der Bibel und im Christentum nach Antworten zu suchen, kam Ihnen damals nicht in den Sinn. Wie ist es möglich, dass Religionsunterricht und Konfirmandenunterricht an Ihnen vorbeigingen und Sie die Bibel bei Ihrer Suche nicht mit einbezogen?
Kellner: Das frage ich mich bis heute: Wieso hatte ich in den Gottesdiensten, die ich als Teenager ab und zu mit meinen Eltern besuchte, niemals davon etwas gehört, dass es beim Christsein um die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geht? Die Bibel war bei meiner Suche für mich damals uninteressant.

factum: Wie ging Ihre Wahrheitssuche weiter?
Kellner: Ich stiess auf die Transzendentale Meditation. Man versprach, ich würde so das Endgültige, Ewige finden. Wenn ich Befürchtungen äusserte, dass ich auf der Stelle trat, hiess es immer nur: «Meditiere – und du wirst sehen!» Doch wieder geriet ich nur in dieses psychische Labyrinth, das ich schon von den bewusstseinserweiternden Pflanzen her kannte.

factum: Sie haben Ihren Weg auf der Suche nach der Wahrheit höchst interessant und eindrücklich in Ihrem Buch «Expedition zum Ursprung. Ein Physiker sucht nach dem Sinn des Lebens» (Fontis Verlag) beschrieben. Es ist spannend zu lesen, wie viele Menschen in Kalifornien, wo Sie 1970 in San Diego als Postgraduate-Student weiterstudierten, ebenso auf der Suche waren.
Kellner: Die Zeit damals in Kalifornien war geprägt von Esoterik. Immer wieder kamen einem auch Hare-Krishna-Jünger entgegen. Über meine ebenfalls suchende Freundin kam ich in Kontakt mit einem Pastor. Die Worte von Jesus, die er mir vorlas, wie: «Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken» oder: «Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis», trafen direkt in meine Suche. Pastor John liess mich ein Gebet nachsprechen, in dem ich Fehler in meinem Leben einräumte und den mir noch völlig unbekannten Christus um Vergebung bat. Doch ich hatte eigentlich noch gar nichts verstanden. Nur: Ich hatte komischerweise zum ersten Mal das sichere Gefühl, auf meiner Suche etwas Richtiges getan zu haben.

factum: Sie begannen jetzt die Bibel zu lesen. Ihr Studium brachen Sie vorübergehend ab, weil es täglich 17 Stunden Zeit verschlang. Sie arbeiteten stattdessen als Direktor an einer Sprachschule in San Diego, wo Ihnen nach nur vier Stunden Arbeit genügend Zeit für Ihre Suche blieb.
Kellner: Ja, ich las dann die Bibel, doch suchte ich dort vergeblich nach genauen Verhaltensanweisungen. Ich verstand noch nicht, dass allein der Glaube an die Vergebung der Sünden und an Jesu Auferstehung ausreicht. Ich fand keine Meditationspraktiken und Wege zur Erleuchtung in der Bibel. Eine meiner Sprachschülerinnen, die Christin war, machte mich darauf aufmerksam, dass ich noch nicht hatte, was sie hatte, auch wenn ich jetzt behauptete, Christ zu sein.

factum: Doch dann besuchten Sie Pastor Johns Gottesdienste.
Kellner: Ich dachte, wenn diese Menschen haben, was ich suche, müsste man es ihnen anmerken. Was ich dann erlebte, übertraf meine Erwartungen. Die Harmonie und Klarheit der Lieder beeindruckten mich. Die Predigt war von einer tiefen inneren Freude getragen, die auch die Zuhörer verströmten. Ich begann zu beten, dass ich den Glauben dieser Menschen bekommen möge. Und eines Tages, auf einem ausgedehnten Spaziergang, geschah es.

factum: Sie konnten plötzlich glauben?
Kellner: Ich erkannte, dass es nicht um eine Methode ging, sondern um eine innere Einstellung. Es erschloss sich mir in rudimentären Ansätzen das Wesentliche am Glauben an Jesus Christus: ein ganzheitliches Sicheinlassen auf die Person Jesus Christus. Mich überkam nach diesem Tag eine tiefe, reine Freude. Ich begriff: Christsein ist eine innere Erfahrung. Das ist einem Aus-senstehenden nur schwer zu beschreiben. Aber wenn diese Erfahrung eingesetzt hat, weiss man: Ich habe den Sinn des Lebens gefunden.

factum: Auch Ihre Sprachschülerin war überglücklich, dass Sie den Unterschied zur Esoterik verstanden hatten. Sie berichten in Ihrem Buch von einem merkwürdigen Phänomen.
Kellner: Ja, dieses Phänomen sollte mich auch später immer wieder verwundern. Man erkennt jemanden, der erkannt hat! Nicht nur bei Begegnungen mit Menschen, sondern auch beim Lesen ihrer Aufzeichnungen. So wusste es auch meine Sprachschülerin Judith sofort, dass ich jetzt hatte, was sie hatte, als wir uns wieder trafen. Vom Standpunkt eines Naturwissenschaftlers kommt dieser Einheitlichkeit der Erfahrung eine besondere Bedeutung zu.

factum: Inwiefern?
Kellner: Es ist das unabdingbare Kriterium der Objektivität aller naturwissenschaftlichen Entdeckungen, dass man diese immer wieder nachvollziehen kann. In der Tat ist diese Erfahrung des Sinns des Lebens, wenn sie einsetzt, für jeden die gleiche und in diesem Sinne objektiv. Der einzige Unterschied ist, dass der experimentelle Apparat der Mensch selbst ist. 

(Interviewauszug aus factum 03/2018)