Yael Elish professionalisierte mit einer genialen Internet-Plattform die Selbsthilfe von Menschen, die eine geeignete Therapie für ihre Krankheit suchen. Eine Segensgeschichte aus Israel.
Thomas Lachenmaier
31. Oktober 2020

Durch eine gute Reaktion auf ein negatives Geschehen, das einem widerfahren ist, kann auch für andere Menschen Gutes erwachsen. Diese erfreuliche Tatsache bestätigte sich auch im Leben und durch das Handeln von Yael Elish. Ihre siebenjährige Tochter leidet an einer seltenen Krankheit und die Ärzte, die die Israelin aufsuchte, konnten keine effektive Heilmethode anbieten. Sie sah sich vor die Frage gestellt, vor der unzählige Patienten stehen: Wie finde ich die richtige Therapie für meine Krankheit?

Die 52-Jährige recherchierte lange Zeit im Internet – und wurde nach zwei Jahren fündig. Sie entdeckte die geeignete Therapie und auch einen Arzt, der sich damit auskennt. Jahre später hatte eine Freundin von Yael Elish dasselbe Problem. Ihr Fünfjähriger litt an einer chronischen Krankheit. Yael suchte und fand auch hier schliesslich eine gute Therapie, kurz bevor eine aggressive Behandlungsmethode angewendet worden wäre. Es ist nicht selten, dass die Information über eine effektive Therapie nicht zum behandelnden Arzt und den Patienten durchdringt. Acht Prozent aller Internetanfragen drehen sich um Krankheiten.

Yael Elish hatte bei ihren Recherchen die Expertise der Betroffenen schätzen gelernt. Im Laufe ihrer Kranken-geschichte werden Patienten und ihre Angehörigen oft zu Experten ihrer Krankheit. Elish offerierte in einer Facebook-Gruppe für chronische Krankheiten einen Fragebogen, analysierte und systematisierte die Antworten. Sie lernte, dass es 10 000 chronische Krankheiten gibt mit Hunderten von Behandlungsmethoden. Medizinische Forschung findet vor allem bei den häufigen Krankheiten statt. Als ehemalige Produktleiterin von «Waze», der genialen Navigationssoftware, die später von Google aufgekauft wurde, hat sie das Know-how, ein Navi durch den Therapiedschungel zu entwickeln, und dabei das verstreute Wissen der Betroffenen zusammenzuführen und zugänglich zu machen. Zwei Kollegen von «Waze», der Mathematiker Ron Held und der Physiker Yossi Synett, beteiligten sich an dem Projekt, welches sie «StuffThatWorks» (Zeugs, das funktioniert) nennen (www.stuffthatworks.health/).

Komplizierte Algorithmen und maschinelles Lernen helfen dabei, die immer grössere Menge an Informationen zu ordnen, aufzubereiten und Ungenauigkeiten auszusortieren. Bereits nach hundert Mitwirkenden pro Krankheit wird das System für Ratsuchende hilfreich. Wenn es Tausende sind, die sich beteiligen, kann das System die effektivste Behandlung für die betreffende Symptomatik nennen. Mehr als 250 000 Mitglieder nutzen das soziale Netzwerk bereits aktiv. Jeden Tag kommen mehr als tausend dazu. «Stuff ThatWorks» ging Ende Juli weltweit an den Start, vorerst nur auf Englisch. Für mehr als 150 chronische Krankheiten gibt es bereits eine eigene Gruppe auf der Plattform. Elish spricht von «Forschungsgemeinschaften». «Jeder kann eine solche Forschungsgemeinschaft gründen», erläutert sie, «einen Fragebogen ausfüllen und mit den anderen teilen.» Die Teilnehmer sind aktive Nutzer, ihre Anfragen und Berichte machen das System immer besser. Die soziale Plattform informiert die Nutzer über andere Beteiligte, die mit vergleichbaren Erfahrungen zu tun haben, und ermöglicht die private Kontaktaufnahme. Es entsteht so etwas wie eine Schwarmintelligenz, die von allen genutzt werden kann, um zu einer geeigneten Therapie zu finden.

Die Kinderbuch-Illustratorin Maya Shleifer hat eine freundliche Gestaltung für die Internetseite entwickelt. Für die Betroffenen, akademische Institutionen und für Wissenschaftler ist die Nutzung kostenlos. Yael Elish hat die Selbsthilfe von Betroffenen professionalisiert und damit schon jetzt Menschen eine Hilfe angeboten, die ihr ganzes Leben positiv verändern kann.

Artikel aus factum 06/2020.