Das Bildungsniveau an den Schulen sinkt kontinuierlich, die gesundheitlichen und sozialen Probleme steigen – viele Länder ziehen bei der undifferenzierten Digitalisierung der Schulen die Reissleine. Deutschland hat Nachholbedarf.
Carola Bruhier
30. April 2024

So werden weiterhin mehr digitale Endgeräte für die Schulen gefordert, obwohl Lehrkräfte und Experten beklagen, dass meist Technik vor Pädagogik steht. Gerade die digitalen Vorzeigeländer, wie Dänemark und Schweden, aber auch Kanada oder Neuseeland, stellen fest, dass das Ablenkungspotenzial von Handys und Tablets im Unterricht zu hoch ist. Die negativen Auswirkungen sind längst bekannt und wurden frühzeitig von Experten benannt: psychische Pro-bleme wie Depressionen und Konzentrationsschwächen, Schlafprobleme, Auffälligkeiten im Sozialverhalten, Fettleibigkeit, Abnahme der motorischen Fähigkeiten und Zunahme von Kurzsichtigkeit, um nur einige zu nennen.

Der dänische Minister für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, hat sich im Dezember 2023 dafür entschuldigt, dass die Regierung Kinder und Jugendliche zu «Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment» gemacht habe. Man sei als Gesellschaft zu «verliebt» gewesen in die «Wunder der Digitalwelt». Jetzt müsse man dringend umsteuern. Die im Dezember vorgestellten PISA-Ergebnisse zeigen, dass dänische Schüler von allen 81 OECD-Ländern die meisten digitalen Werkzeuge in der Schule nutzen. 72 Prozent der dänischen Schüler gaben an, in einer typischen Woche in jeder oder fast jeder Unterrichtsstunde digitale Hilfsmittel zu nutzen. Gleichzeitig hat ein erheblicher Anteil der Schüler das Gefühl, durch die Nutzung digitaler Geräte durch sie selbst und ihre Mitschüler abgelenkt zu werden.1

Angesichts der offensichtlichen Probleme schwindet die digitale Euphorie, es findet zunehmend ein Umdenken statt. Laut dem «2023 Global Education Monitoring Report»2 der UNESCO verbietet derzeit jedes vierte Land weltweit private Geräte in der Schule, damit Kinder und Jugendliche sich wieder auf den Unterricht konzentrieren können, sich in den Pausen bewegen und miteinander kommunizieren. Immer mehr Länder formulieren darüber hinaus konkrete Empfehlungen für den IT-Einsatz in Schulen. In Frankreich gilt seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, 2018 erweitert zum Komplettverbot internetfähiger Geräte in allen Räumlichkeiten und bei schulischen Aktivitäten auch ausserhalb des Schulgebäudes. Die Niederlande führen 2024 ein Smartphone-Verbot ein. In Schweden wurden nach dem Bericht des Karolinska-Instituts von 2023 die Tablets aus Vor- und Grundschulen wieder entfernt und stattdessen Schulbücher verwendet. Auch in Kanada und in manchen US-Bundesstaaten, wie Utah, gelten nun konservative Regeln für den Umgang mit privaten digitalen Endgeräten.3

In Deutschland wird weiterhin an der Digitalisierung in den Schulen auch als Voraussetzung für die Nutzung von KI festgehalten, politisch wird gern auf den Bildungsföderalismus als Argument gegen ein Verbot verwiesen. Medienexperten, die für eine Rückbesinnung auf das Unterrichten und Erziehen plädieren, bei der der ganze Mensch im Mittelpunkt steht, entgegnen: «Man muss ‹nur› den Kinder- und Jugendschutz wichtiger nehmen als die Partikularinteressen der IT- und Wirtschaftsverbände und fragen, wem man als Schulträger, Lehrkraft oder Vertreter/in eines Kultusministeriums verpflichtet ist.»

1    https://die-pädagogische-wende.de/empfehlungen-zur-bildschirmnutzung-fuer-grundschulen-und-ausserschulische-programme/
2    https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147
3    https://die-pädagogische-wende.de/wieder-konzentriert-unterrichten-und-lernen-koennen/

Artikel aus factum 03/2024