Wissenschaft generiert nicht Wahrheit, sondern jeweils vorläufige Erkenntnis und «Modelle von Wahrheit». Dennoch gilt, dass dem Menschen Wahrheit zugänglich ist. Er ist wahrheitsfähig.
Thomas Lachenmaier
7. Oktober 2020

Die Wissenschaftshistorikerin Prof. Lorraine Daston erläuterte in einem Interview mit dem Wissenschaftsportal der «Gerda Henkel Stiftung», dass «unsere Art» (als Wissenschaftler), von Wissenschaft zu reden, «von Wahrscheinlichkeiten durchtränkt» sei. «Wir reden nicht mehr von Unwissen oder Sicherheit, wir reden über ein Spektrum von Graden von Wahrscheinlichkeiten.» Folgerichtig bezeichnete die Wissenschaftshistorikerin «Fehlerbewusstsein» als «die Essenz von Wissenschaft».  

Wissenschaft generiert nicht Wahrheit, sondern «Modelle von Wahrheit», wie Prof. Daston ausführt. Diese Modelle können überprüft werden, «sind aber nicht für die Ewigkeit». Solche Bescheidenheit ist sachlich geboten und eine gerade bei den bedeutenden Wissenschaftlern nicht selten anzutreffende Tugend. Wissenschaftliche Modelle von Wahrheit sind nicht nur jeweils Stand vorläufiger Erkenntnis, sie konkurrieren auch miteinander. Je nachdem, wie eine Studie angelegt, welche Prämissen zugrunde gelegt, welche Parameter herangezogen oder weggelassen werden und welche Fachdisziplin sich mit dem Gegenstand des Interesses befasst, werden die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen.

Deshalb ist es auch abwegig und aus wissenschaftstheoretischer Sicht lächerlich, zu behaupten, wissenschaftliche Erkenntnis sei eine Frage der Mehrheitsmeinung unter Wissenschaftlern. Weder die Wahrheit noch Modelle davon sind Ergebnisse eines demokratischen Prozesses oder einer Abstimmung. Als Einstein mit seiner Theorie nicht nur die Wissenschaftswelt verblüffte, war das gerade nicht die Meinung der Mehrheit, sondern eine einsame Stimme in der Wüste, die auch keineswegs gleich gehört wurde. Damals namhafte und inzwischen längst vergessene Wissenschaftler protestierten gegen Einsteins Theorie, die von der Mehrheit ja keineswegs geteilt wurde. Die Parole «Unite behind Science» (Vereint euch hinter der Wissenschaft), mit dem eine selbstgerechte Rasselbande von Kindern und Halbintellektuellen viel Lärm verursacht, zeigt nur, dass deren Weltbild keineswegs «wissenschaftlich» und darüber hinaus auch unvernünftig ist – und dass sie freitags doch lieber zur Schule gehen sollten. Gerade die Frage, ob die angenommene Erwärmung des Planeten vom Menschen verursacht sei, ist eine solche Frage, in der verschiedene Modelle von wissenschaftlicher Erkenntnis konkurrieren. Wie in der Bewertung der politischen Reaktionen auf das Coronavirus verschwindet diese Kontroverse nicht dadurch, dass sie sich in den Medien und in der Politik kaum widerspiegelt.

Hochkarätige Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen sind der Meinung, dass der Lockdown als Reaktion auf das Coronavirus absehbar falsch und deshalb unverantwortlich war. Dass von Politik und Medien jene Wissenschaftler als Künder der reinen Wahrheit stilisiert und in eine Prophetenrolle gedrängt werden, die der gegenteiligen Meinung sind, sagt viel über die Politik und die Medien – aber wenig über die Aussagekraft der verschiedenen Wahrheitsmodelle aus.

Wissenschaft und die Wahrheit haben es unter den heutigen Gegebenheiten schwer, schreibt der Philosoph Prof. Daniel von Wachter, «der Korridor der erlaubten Meinungen ist eng geworden». Gerade in Deutschland bestehe ein enormer Druck, bestimmte Dinge nicht zu denken oder zu sagen, obwohl man sie für richtig hält, schreibt er. Der rationale Mensch bildet sich seine Meinung nicht, schreibt von Wachter, «indem er sich auf Autoritäten verlässt oder indem er der Mehrheit der Experten folgt, sondern indem er selbst über die ihm verfügbaren Daten nachdenkt».

Was ist das Gute an dieser bösen Entwicklung? Von Wachter: «Das ist eine gute Zeit, um Wahrheitsliebe, Mut und Tapferkeit zu beweisen, durch freimütiges Denken, Forschen, Reden und Handeln.» Dem Menschen ist die Sehnsucht nach Wahrheit und das Wissen, dass es Wahrheit gibt, ins Herz gelegt (vgl. Pred. 3,11). Das ist der Motor, der Wissenschaftler im besten Sinne antreibt, die dann auch keine Veranlassung zum Hochmut haben.

Wahrheit ist dem Menschen zugänglich, aber der Weg führt über eine demütige Haltung, lehrt die Bibel. Wer Gott um mehr als wissenschaftliche Erkenntnis über diese oder jene Frage bittet, wer ihn ernstlich um erlösende Wahrheit bittet: Der wird sie finden. Das ist die Frohe Botschaft.

Artikel aus factum 05/2020.