Multikulturalisten leugnen die Errungenschaften der westlichen Zivilisation – und gefährden sie damit. Dabei sind Menschlichkeit und Moral jüdisch-christliches Erbe.
Philip Carl Salzman
20. Mai 2018

Im letzten Jahrzehnt haben viele im Westen an einem historisch beispiellosen Erklärungsmuster geschliffen – einem, das nicht nur auf die Kultur verzichtet, die sie geerbt haben, sondern das sogar deren Existenz leugnet.

Ein paar Beispiele: Der damalige Präsident Barack Obama begann bei einer Pressekonferenz in Strassburg im Jahr 2009 damit, die Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten herunterzuspielen: «Ich glaube an den amerikanischen Exzeptionalismus, so wie ich vermute, dass die Briten an den britischen Exzeptionalismus und die Griechen an den griechischen Exzeptionalismus glauben.» Mona Ingeborg Sahlin, die damalige Vorsitzende der schwedischen Sozialdemokratischen Partei, sagte 2010 darüber noch hinausgehend vor einer Versammlung der türkischen Jugendorganisation Euroturk: «Ich bringe einfach nicht zusammen, was schwedische Kultur ist. Ich denke, das ist es, was viele Schweden neidisch auf Einwanderergruppen macht. Ihr [Immigranten] habt eine Kultur, eine Identität, eine Geschichte, etwas, das euch zusammenbringt. Und was haben wir hier? Wir haben Mittsommernacht und so dumme Sachen.» Im Oktober 2015 sagte Ingrid Lomfors, Leiterin des «Forum for Living History» der schwedischen Regierung, zu einer Gruppe von Beamten: «Es gibt keine einheimische schwedische Kultur.»

Im November 2015 gab der neu vereidigte kanadische Premierminister Justin Trudeau der «New York Times» ein Interview, das einen Monat später veröffentlicht wurde, in dem er sagte: «Es gibt keine Kernidentität, keinen Mainstream in Kanada. Es gibt gemeinsame Werte – Offenheit, Respekt, Mitgefühl, Bereitschaft, hart zu arbeiten, füreinander da zu sein, Gleichheit und Gerechtigkeit zu suchen. Diese Eigenschaften machen uns zum ersten postnationalen Staat.»

Im Dezember 2015 gab der ehemalige schwedische Premierminister Fredrik Reinfeldt, 2009 Präsident des Europäischen Rates, TV4 ein Interview, bevor er sich von der Führung der Moderaten Partei verabschiedete, in dem er rhetorisch fragte: «Ist dies ein Land, das sich im Besitz derer befindet, die hier seit drei oder vier Generationen leben, oder ist Schweden das, was die Leute, die hier in der Mitte des Lebens herkommen, ausmacht? Für mich liegt es auf der Hand, dass es Letzteres sein sollte und dass es eine stärkere und bessere Gesellschaft ist, wenn sie offen ist. Schweden sind als ethnische Gruppe uninteressant.»

Solche Aussagen stammen vor allem von führenden Persönlichkeiten in den Vereinigten Staaten, Schweden und Kanada – Ländern mit unterschiedlicher Literatur, Musik, Kunst und Küche sowie unterschiedlichen Justiz- und Regierungssystemen. Was die Ansichten der fünf Staats- und Regierungschefs jedoch gemeinsam haben, sind eine postmoderne Ideologie und das Bedürfnis nach Minderheiten- und Migrantenstimmen.

Die Postmoderne hat zwei Schlüsselelemente: den kulturellen Relativismus und den Postkolonialismus. Der Kulturrelativismus – entwickelt von der amerikanischen Anthropologin Ruth Benedict, Autorin des weltweiten Bestsellers «Patterns of Culture» («Kulturmuster») von 1934, und ihrem Mentor, dem «Vater der amerikanischen Anthropologie» Franz Boas – postulierte, dass die Forscher ihre eigenen kulturellen Werte und Vorurteile beiseitelegen und einen offenen Geist gegenüber den Kulturen anderer Völker bewahren müssen, um sie zu verstehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dehnten anthropologische Theoretiker dies auf den Bereich der Ethik aus und argumentierten, dass Urteile, die sich aus einer Kultur ergeben, nicht auf andere angewendet werden könnten – wodurch alle Kulturen gleich gut und wertvoll würden. Diese Ansicht veranlasste die American Anthropological Association 1947, die Erklärung über die Rechte des Menschen abzulehnen, die zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen wurde, die 1947 von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen ausgearbeitet wurde.

Der Postkolonialismus vertritt die Auffassung, dass Völker auf der ganzen Welt gut und friedlich miteinander auskamen, bis westliche Imperialisten sie überfielen, spalteten, eroberten, ausnutzten und unterdrückten. Im Gegensatz zur Postmoderne, die die westliche Kultur als nicht besser als andere Kulturen sieht, hält der Postkolonialismus die westliche Kultur für minderwertiger als andere Kulturen.

Drei Faktoren scheinen dieser Ablehnung der westlichen Kultur zugrunde zu liegen: Schuldgefühle, Globalisierung und Demografie. Viele westliche Gesellschaften – wie zum Beispiel Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Holland, Spanien, Portugal und Italien – hatten zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert Weltreiche. Heute jedoch werden diese vergangenen Eroberungen von den Ländern, die sich an ihnen beteiligt haben, als böse angesehen und auch von nicht imperialen Nationen, wie Schweden und Kanada, das selbst eine westliche Kolonie ist, negativ betrachtet. Deutschland, eine späte und marginale imperiale Macht, scheint immer noch schuldbeladen wegen dem Holocaust zu sein. Ironischerweise hat die Aufnahme unzähliger Neuankömmlinge nach Europa, als wären sie die «neuen jüdischen Flüchtlinge» dieses Jahrhunderts, die zweite Flucht der Juden verursacht.

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 04/2018.