Nach der Evolutionslehre wurde in der «grossen Sauerstoffkatastrophe» vor 2,4 Milliarden Jahren die Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert. Doch Indizien sind dürftig und die Probleme gross.
Dr. Boris Schmidtgall
17. Oktober 2022

Viele Dinge, die wir für selbstverständlich halten, erweisen sich bei näherer Betrachtung als überaus staunenswert. Da ist zum Beispiel der Umstand, dass das Universum dank einer äusserst exakt eingestellten Architektur von Naturgesetzen besteht oder die verwunderliche Tatsache, dass dies anhand der Sprache der Mathematik für uns Menschen verstehbar ist. Im Hinblick auf Letzteres sprach der Physik-Nobelpreisträger Eugene Wigner von «einem Geschenk, das wir weder verstehen noch verdienen». Ebenso wenig Verwunderung gibt es bezüglich der Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Unzählige Menschen atmen ihr ganzes Leben lang Tag für Tag, ohne sich auch nur einen Moment bewusst zu werden, dass wir dies einer absolut einmaligen, privilegierten Situation unseres Planeten zu verdanken haben: dem hohen Atmosphärenanteil an molekularem Sauerstoff (O2) von knapp 21 Prozent. Das chemische Element Sauerstoff ist im Universum zwar vergleichsweise häufig, doch liegt es nur sehr selten in der molekularen Form vor. Und ausgerechnet auf unserem Planeten haben wir so viel davon.

Das Molekül O2 weist einige Besonderheiten auf: Es ist chemisch eher labil und geht leicht Reaktionen mit anderen Molekülen ein. Es würde daher relativ schnell verschwinden, wenn es nicht durch Organismen ständig nachproduziert würde. Aufgrund seiner Eigenschaften ist O2 für Lebewesen beides zugleich: Segen und Fluch – lebensnotwendig und doch ein Gift. Dabei ist nicht O2 selbst giftig, sondern dessen Abbauprodukte in der Zelle, die wegen ihrer hohen chemischen Reaktivität als reaktive Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS) bezeichnet werden. ROS gehen leicht chemische Reaktionen mit vielen Proteinen und DNA ein und verändern dadurch deren Struktur und Funktion. Die Belastung von Lebewesen durch ROS wird als «oxidativer Stress» bezeichnet und ist der hauptsächliche Grund dafür, dass Lebewesen altern. Um es bildhaft zu beschreiben: Wir rosten ständig – ob wir rasten oder nicht. Darüber hinaus darf es weder zu wenig noch zu viel Sauerstoff in der Atmosphäre geben. Sinkt der Volumenanteil an O2 unter 17 Prozent, überleben viele Organismen nicht lange. Steigt der Anteil auf 30 Prozent oder mehr, kommt es häufig zu spontanen Waldbränden. Es stellt sich also die naheliegende Frage: Wie ist es dazu gekommen, dass die Erdatmosphäre einen so hohen Gehalt an O2 hat?

Die grosse Sauerstoffkatastrophe

Da molekularer Sauerstoff von Organismen (Pflanzen, Cyanobakterien, Kieselalgen) erzeugt wird, liegt es nahe, dass dessen Ursprung mit der Herkunft des Lebens zusammenhängt. Die Standardantwort auf Lebensursprungsfragen in Wissenschaft, Medien und Bildungsinstituten lautet aktuell «Evolution». Aus Simplem soll durch natürliche Vorgänge Komplexes geworden sein, aus Defizitärem Vollkommenes. Aus kleinen organischen Molekülen sollen durch chemische Reaktionen Bausteine des Lebens entstanden sein, die sich anschliessend zu hochkomplexen Zellen organisierten. Es gibt eine grosse Vielfalt an untereinander konkurrierenden Erklärungsversuchen, wie das geschehen sein soll. Einigkeit besteht lediglich darin, dass der Ursprung des Lebens ausschliesslich in natürlichen Prozessen verortet werden kann.

O2 stellt dabei jedoch ein schwerwiegendes Problem dar, da es die Entstehung molekularer Bausteine des Lebens wie Proteine, DNA (Erbgutsubstanz), Vitamine, Fette und Zucker wirksam verhindert. Viele organische Moleküle, aus denen die Bausteine des Lebens entstehen könnten, reagieren nämlich unter Abgabe von Elektronen an O2. Dadurch verändern sich ihre Gestalt und chemische Eigenschaften derart, dass sie nicht mehr zu Proteinen, DNA etc. reagieren können. Ebenso neigen aber auch die Bausteine des Lebens selbst zu Elektronenübertragungsreaktionen mit Sauerstoff, sodass sie in einer sauerstoffreichen Atmosphäre nicht lange erhalten bleiben können. Der Glaube an eine Entstehung erster Zellen durch eine Verkettung chemischer Reaktionen (chemische Evolution) setzt daher zwingend voraus, dass die frühe Erdatmosphäre höchstens äusserst geringe Mengen O2 enthielt.

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