Bei aller wunderbaren Offenbarung durch die Bibel ist Gott immer auch ein verborgener Gott. Das macht das Reden von ihm und das Bezeugen seines Wortes nicht weniger dringlich – aber demütig.
Olaf Latzel
27. April 2019

Vor fast 100 Jahren veröffentlichte der berühmte Theologe Karl Barth seinen epochemachenden Vortrag «Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie». Darin legte er in drei Spitzensätzen die Aufgabe, Not und Situation des Predigers dar: 1. Wir sollen als Theologen von Gott reden, 2. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden und 3. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsere Bedrängnis. Alles andere ist daneben ein Kinderspiel.

Gott ist nicht systematisch zu fassen

Gerade der zweite Punkt dieses Vortrages ist von mir selber erfahren und verstanden worden. Als junger Student der Theologie nahm ich mir vor, alle Erkenntnis, die ich über Gott gewinnen werde, für mich zu notieren. Ich wollte diese in eine Systematik fassen, um Gott wissenschaftlich verstehen zu können. Viele Karteikarten füllten sich im Laufe der Semester, aber es wurde für mich immer komplizierter, diese vielfältigen Aussagen miteinander zu verbinden. Schliesslich habe ich am Ende des Studiums alle meine Aufzeichnungen weggeworfen. Mir war klar geworden, dass man den lebendigen, dreieinigen Gott nicht mit menschlicher Systematik fassen kann. Der Gott der Bibel ist, bei aller wundervollen Offenbarung durch die Bibel, immer auch ein verborgener Gott.

Das hat zum einen damit zu tun, dass Gott nicht sichtbar ist. Man kann den Ewigen nicht anschauen wie ein Bild an der Wand oder eine Götzenstatue im Tempel. Der Heilige ist den Augen der Menschen verborgen. Dieses wird immer wieder in der Heiligen Schrift thematisiert. So spricht der Allmächtige selber zu Mose: «Mein Angesicht kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht» (2. Mose 33,20). Oder bei Johannes heisst es: «Niemand hat Gott jemals gesehen» (1. Joh. 4,12). Paulus bringt es auf den Punkt, als er schreibt, dass wir im Bezug zu unserer Gottesbeziehung nicht im Schauen wandeln, sondern im Glauben (2. Kor. 5,7).

Aber dieses Verborgensein Gottes bezieht sich nicht nur auf seine «Nicht-Sichtbarkeit» in dieser Welt, sondern auch auf seine «Nicht-Fassbarkeit» und seine «Nicht-Verstehbarkeit». Diese Nicht-Verstehbarkeit wird insbesondere in den unterschiedlichen Gottesoffenbarungen gegenüber seinen Geschöpfen deutlich. Als sich etwa der Herr dem Mose offenbart, so geschieht das in einem brennenden Dornbusch, der aber vom Feuer seltsamerweise nicht verzehrt wird. Aus diesem brennenden Dornbusch heraus offenbart Gott dem Mose seinen Namen: Jahwe (2. Mose 3,1–14), dessen Übersetzung so viel bedeutet wie «Ich werde sein, der ich sein werde» oder «Ich werde mich als der offenbaren, der ich bin».

Diese Nicht-Verstehbarkeit, diese Nicht-Fassbarkeit des Namens Gottes korrespondiert zu seinem Verborgensein. Er entzieht sich in vielen Facetten seines Seins unserer Zugänglichkeit und Fassbarkeit. Auch die fantastische Gottesschau des grossen Propheten Elia macht diese Nicht-Fassbarkeit deutlich. Als Gott sich Elia zeigt, so geschieht dieses in einem leichten Säuseln des Windes (1. Kön. 19,9–13). Der Prophet erfährt zwar die unmittelbare Begegnung mit dem Allmächtigen, aber er kann letztlich weder etwas erkennen noch fassen.

Jesaja erlebt es ähnlich. Bei seiner Gottesbegegnung nimmt er nur die Füsse des Thrones des Ewigen wahr und meint, allein durch diesen kleinen Anblick vergehen zu müssen (Jes. 6). Obwohl sich Gott dem Propheten offenbart, so bleibt dieser dennoch für ihn ein nicht fassbarer Gott, ein verborgener Gott. Aber es ist nicht nur die Nicht-Sichtbarkeit und die Nicht-Fassbarkeit des Heiligen, die ihn zu einem verborgenen Gott machen. Nein, der Ewige ist zudem auch häufig nicht verstehbar. Kaum jemand anderes im Alten Testament macht diese Erfahrung der Nicht-Verstehbarkeit des Herrn tiefer und intensiver als Hiob.

Quasi ein ganzes Buch lang wird dem Leser vor Augen geführt, dass weder Hiob und schon gar nicht seine ihn beratenden Freunde Gott verstehen können. So mündet denn auch das ganze Buch in zwei gewaltige Reden Gottes an Hiob, indem er ihm deutlich macht, dass der Mensch ihn letztlich nie verstehen kann (Hiob 38–40). Auch in Jesus, der ja wahrer Gott ist, bleibt Gott, trotz aller biblischen Erkenntnis und Tiefe, die uns in ihm geschenkt wird, letztlich ein verborgener Gott. Zwar war der Heiland für eine gewisse Zeit auf Erden und hat Herrliches über sich, den Vater und den Heiligen Geist offenbart. Aber verstehen können sie ihn dennoch häufig nicht.

«Wer ist dieser?»

Die Jünger machen diese Erfahrung zum Beispiel bei der Sturmstillung (Mark. 4,35–41). «Wer ist dieser?», so fragen sie nach dem vollmächtigen Handeln Jesu gegenüber dem Wind und dem Wasser.

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 03/2019.