In den USA bieten immer mehr Arbeitgeber jungen Mitarbeiterinnen an, ihre Eizellen auf Vorrat einzufrieren, um erst später mittels künstlicher Befruchtung ein Kind zu bekommen. Doch das sogenannte «Social Egg Freezing» weckt falsche Hoffnungen und schafft für Frauen neue Zwänge.
Raphael Berger
19. Januar 2024

So wird die künstliche Befruchtung als Lösung für die Vereinbarkeit von Karriere und Kind verkauft. Für Dr. Susanne Kummer vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik IMABE ist klar: «Junge Frauen sollen möglichst ‹unschwanger› gehalten werden, damit sie für das Unternehmen ‹produktiv› bleiben.» Dies übe einen subtilen Zwang aus. «Müssen wir bald mit Sätzen rechnen wie: Wenn du Karriere willst, dann lass dir doch deine Eizellen einfrieren ...?», fragt Kummer.

Fast jeder fünfte US-Grosskonzern mit mehr als 20 000 Mitarbeitern offeriert seinen Angestellten als Benefit die Übernahme der Kosten für das Social Egg Freezing, die mit 5000 bis 10 000 Euro angegeben werden. Hinzu kommen jährliche Lagerungsgebühren von rund 400 Euro. 42 Prozent dieser Firmen stellen den Frauen auch die Rückerstattung der Kosten für eine künstliche Befruchtung in Aussicht.

Nach Daten des nationalen Registers HFEA in Grossbritannien führten jedoch nur 1,7 Prozent jener Eizellen, die zwischen 2008 und 2013 eingefroren und wieder aufgetaut wurden, zu einer Lebendgeburt. Aber nicht nur die Qualität der Eizellen sinkt mit der Aufbewahrungsdauer in gefrorenem Zustand, auch der Organismus der Frauen ist bei späten Schwangerschaften für Komplikationen anfälliger als in jungen Jahren. Laut dem jüngsten Report der US-Centers for Disease Control and Prevention (2020) liegt die Erfolgsquote auf ein Baby bei Frauen zwischen 38 und 40 Jahren, die ihre eigenen Eizellen für eine IVF verwenden, nur mehr bei 24 Prozent. Bei Frauen über 40 Jahren sind es noch acht Prozent. Aus Studien ging hervor, dass nur wenige Frauen am Ende überhaupt auf ihre Eizell-Reserven zurückgreifen. So wächst inzwischen der Druck, dass Frauen ihre vielen «ungenützten Eizellen» nicht verschwenden, sondern «bedürftigen» Frauen und Männern zur Verfügung stellen sollten – oder zumindest der Forschung.

Als häufigsten Grund für Social Egg Freezing gaben Frauen neben beruflichen Gründen an, keinen geeigneten Partner zur Erfüllung des Kinderwunsches gefunden zu haben. Doch mit dieser Technik wird die Familienplanung vollends auf die Frauen abgeschoben. Es sei die Tragik der modernen Frau, schrieb Weltwoche-Kolumnistin Anabel Schunke bereits vor längerer Zeit, «dass wir uns über all das (Partnerwahl und Kinderwunsch, Anm. d. Red.) so viel und intensiv Gedanken machen, bis es vielleicht zu spät ist». Und fragt: «Was nützt uns all die maximale Freiheit, wenn es am Ende keinen funken Gewissheit mehr gibt? Wenn Beliebigkeit in der Partnerschaft an die Stelle von Verlässlichkeit rückt und Versprechen nichts mehr wert sind? Wenn wir maximal frei als Frauen, aber am Ende alleine sind?» Social Egg Freezing leistet dieser Entwicklung Vorschub.

Meldung aus factum 01/2024