Arbeit ist mehr als Mittel zum Zweck. Der von Christus geliebte und erlöste Mensch ist berufen, Gott und den Menschen mit seiner Arbeit zu dienen, zu helfen und zu missionieren.
Prof. Dr. Werner Lachmann
6. April 2024

Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum sind bekanntlich eng mit der Arbeitsleistung eines Volkes verknüpft. Die geleistete Arbeit hat auch in unseren Breitengraden Wohlstand gebracht. Im Zuge der Reformation wurden vom Kaufmannsstand christliche Tugenden aufgegriffen. Heute zählen sie noch zum alten Arbeitsethos, die Tugenden wie Fleiss, Pflichterfüllung, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Umsicht und Präzision. In den 1960er-Jahren begann ein Umdenken, die moderne Arbeitsmoral setzt mehr auf kommunikative Tugenden1. Teamarbeit, kommunikativer Arbeitsstil, Dialogfähigkeit und demokratische Partizipation sind heute gefragt.

«Ich bin die Tugend»

Der griechische Held Herakles sass einst an einer Weggabelung und sann über seinen Lebensweg nach. Von zwei verschiedenen Richtungen kamen je eine schöne Frau auf ihn zu. Die erste trug ein prächtiges Gewand und sprach: «Herakles, du bist unschlüssig, welchem Weg du folgen sollst. Nimm mich als Freundin und Begleiterin. Ich werde dich angenehme und gemächliche Strassen führen. Alle Freuden, die diese Welt zu bieten vermag, werde ich dir gewähren und Last und Sorge von dir fernhalten.» Herakles fragte verwundert nach ihrem Namen. Ihre Antwort: «Wer mich liebt, nennt mich die Glückseligkeit, meine Feinde, die mich herabsetzen wollen, nennen mich das Laster.»

Nun war auch die andere Frau hinzugetreten. Sie trug ein schlichtes, weisses Gewand, ihr Wesen war bescheiden und gesittet. Mit ruhiger und fester Stimme sprach sie: «Herakles, ohne Verdienst verschenken die Götter nichts. Lockende Traumbilder kann ich dir nicht vorgaukeln. Nur durch Kampf und Mühen erreicht der Mensch sein hohes Ziel. Folge dem Guten und Grossen, so wirst du durch Arbeit und Schweiss Ruhm und Ehre erlangen.» Auch sie fragte Herakles nach ihrem Namen. Ihre schlichte Antwort: «Ich bin die Tugend!» Bekanntlich reichte Herakles ihr ohne Zögern seine Hand und verschrieb sich fortan einem Dasein, das von den Menschen Tapferkeit, Arbeit und Lebensmut verlangt.

Wem geben wir unsere Hand? Ist für die Menschen heute der Weg der Arbeit noch eine denkbare Alternative? Möchten nicht viele Bürger sogleich ins goldene Zeitalter eintreten und sich den Umweg über die Arbeit sparen?

Die Arbeitslast war jahrhundertelang eine Selbstverständlichkeit. «Wie der Vogel zum Fliegen, so ist der Mensch zur Arbeit erschaffen» – sagten die Reformatoren. Arbeit gehört zum Leben – dennoch ist sie uns zu einem Problem geworden. Die Work-Life-Balance ist in aller Munde. Unsere Gesellschaft scheint sich aufzuteilen in eine grösser werdende Gruppe, die immer weniger arbeitet, und in eine kleinere Gruppe, die immer mehr arbeitet und in der Gefahr steht, sich zu Tode zu schuften.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Soziale Chancen und Anerkennung hängen von der Leistung des Einzelnen ab. Michael S. Gorbatschow bemerkte einmal: Nur wer etwas leistet, kann sich etwas leisten! In Teilen unserer Gesellschaft wird die Arbeit allerdings überhöht. Es kommt zur Arbeitssucht (Workaholism). Diese zeigt sich in übertriebener Aussenorientierung, in der Unfähigkeit, sich zu entspannen. Sie beeinträchtigt oft die menschlichen Beziehungen und führt zu einer konkurrenzbetonten Lebenseinstellung. Arbeit wird zum Lebenselixier, zum Sauerstoff unseres Lebens, und führt die Menschen in psychische Stresssituationen. Ständig muss man behaupten «alles ist okay mit mir», obwohl vielen Arbeitssüchtigen das Leben entgleitet. Man sollte auf die kritische Bemerkung von William Somerset Maugham hören, der sagte: Nur ein mittelmässiger Mensch ist immer in Hochform!

1    Heiner Geissler soll einmal gesagt haben: «Für manche Linke ist jemand schon rechtsradikal, wenn er pünktlich zur Arbeit kommt.»

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