Der vor 275 Jahren am 28. August 1749 in Frankfurt geborene Johann Wolfgang Goethe (später von Goethe) war Sohn einer Frankfurter Patrizierfamilie. Seine der Lutherischen Kirche angehörenden Eltern standen dem christlichen Glauben sehr positiv gegenüber. Ihr Sohn erhielt dann auch in seiner Kindheit durch Elternhaus und Kirche eine intensive religiöse Erziehung. Schon früh faszinierten ihn die biblischen Geschichten. Bei dem gewöhnlichen Religionsunterricht wurden in ihm – wie er sich später erinnerte – «manche Empfindungen und Gedanken rege, aber nichts, was sich auf meinen Zustand bezogen hätte. Ich hörte gern von Gott reden, ich war stolz darauf, besser als meinesgleichen von ihm reden zu können; ich las nun manche Bücher, die mich in den Stand setzten, von Religion zu schwatzen, aber nie fiel es mir ein, zu denken, wie es denn mit mir stehe.»
Im Herbst 1765 begann der damals erst 16-jährige Goethe ein Jurastudium an der Universität in Leipzig. Während seiner dortigen Studienzeit sollten vor allem zwei Freunde, der pietistisch gesinnte Theologiekandidat J. C. Limprecht und der belesene und bibelkundige E. T. Langer, einen positiven Einfluss auf ihn ausüben. Der Austausch mit ihnen über Glaubensfragen liess ihn immer offener werden für eine bewusste, persönliche Aneignung des von ihnen vertretenen christlichen Glaubens. Aber noch blieb er in religiöser Unverbindlichkeit und Indifferenz stecken.
Pietistische Prägung
Im Sommer 1768 nun befiel den Studenten eine schwere, lebensbedrohliche Erkrankung. Sie veranlasste ihn, Ende August nach Frankfurt in sein Elternhaus zurückzukehren. Hier wurde er monatelang fürsorglich gepflegt und umsorgt von seiner Mutter und ihrer engen Freundin Susanna von Klettenberg, einer gebildeten, weltoffenen, aber zugleich überzeugten und entschiedenen Christin im pietistischen (und dabei vor allem herrnhutischen) Sinne. «Fräulein von Klettenberg», schrieb Goethe später, «verhielt sich zu dem ihrigen (Heiland) wie zu einem Geliebten, dem man sich unbedingt hingibt, alle Freude und Hoffnung auf seine Person legt und ihm ohne Zweifel und Bedenken das Schicksal des Lebens anvertraut.» Ihr Einfluss auf Goethes Mutter dürfte sicherlich dazu beigetragen haben, dass auch diese inzwischen eine den Herrnhutern nahestehende Gemeinschaft besuchte und sogar in ihrem Haus erbauliche Versammlungen abhalten liess. So blieb es nicht aus, dass ihr Sohn immer mehr Herrnhuter und andere Pietisten und ihre typische Denk- und Glaubensweise kennenlernte.
Besonders angetan aber war der junge Goethe von Susanna von Klettenberg. Mit ihr konnte er sich stundenlang über Gott und die Welt austauschen. Auch nahm sie an seinen ersten poetischen Versuchen und Werken interessiert Anteil. Daneben verstand sie es aber auch, ihm ihre grosse Verehrung gegenüber Zinzendorf (1700–1760) und ihre besondere Sympathie für die von ihm gegründete Brüdergemeine überzeugend zu vermitteln. Schliesslich sah sich Wolfgang Goethe immer mehr mit der «Gretchenfrage» konfrontiert, wie er es selbst eigentlich mit Christus und dem christlichen Glauben halten sollte. Nur zu deutlich spürte er, dass er nicht mehr länger einer Entscheidung ausweichen konnte.
Am 9. November 1768 gesteht er seinem Freund Langer: «Sie waren der erste Mensch auf der Welt, der mir das wahre Evangelium gepredigt hat, und wenn Gott mir die Gnade erweist, mich zum Christen zu machen, so haben Sie das Samenkorn dazu gelegt.» Nur zwei Wochen später lässt er den Freund wissen: «Man sieht mich von Seiten der Brüder (gemeint sind die Herrnhuter bzw. die «Brüder» jenes pietistischen Kreises, den Goethe mit seiner Mutter besuchte; M. H.) als einen Menschen an, der einen guten Willen und einige Rührung hat, der aber noch zu sehr durch die Anhänglichkeit an die Welt zerflattert ist, und man betrügt sich nicht. (...) Ich hoffe das Beste. Mein feuriger Kopf, mein Witz, meine Bemühung und ziemlich begründete Hoffnung, mit der Zeit ein guter Autor zu werden, sind jetzt (...) die wichtigsten Hindernisse meiner gänzlichen Sinnesänderung und des eigentlichen Ernsts, die Winke der Gnade begieriger anzunehmen. (...) Es ist meistenteils der Funke von übel angewandter Eigenliebe, der noch zu mächtig ist, und, ich fürchte, noch mächtiger werden wird. (...) Ich gehe in die Versammlungen und finde wirklich Geschmack dran. Das ist einstweilig genug. Gott gebe das übrige.» Knapp zwei Monate später, am 17. Januar 1769, teilt er dann Langer mit: «Mich hat der Heiland endlich erhascht, ich lief ihm zu lang und zu geschwind, da kriegt er mich bei den Haaren.»
Die Herrnhuter zweifelten an seinem Glauben
Doch Goethes «Bekehrung» erfolgte letztlich doch wohl nur halbherzig.
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