Auch in Teilen der evangelikalen Bewegung wird die Schrift relativiert, Jesus gegen die Bibel ausgespielt. Thomas Jeising, der Leiter des Bibelbundes, kritisiert das als unbiblisch, als Irrweg.
Bettina Hahne-Waldscheck
21. Februar 2018

factum: Herr Jeising, heutzutage hört man von Theologen manchmal die Aussage: «Ich glaube an Jesus Christus, aber nicht an die Bibel!» Wie ist das zu deuten?
Thomas Jeising: Es kann in dieser Aussage eine theologisch richtige und wohlmeinende Mahnung gegen ein Missverständnis in Bezug auf die Bibel liegen, dass man sie an die Stelle Gottes stellt. Allerdings beobachte ich seit Jahren, dass diese Aussage eher benutzt wird, um einen Keil zwischen das Vertrauen in die Heilige Schrift und Jesus Christus zu treiben.  

factum: Es hört sich auf den ersten Blick so an, dass man Jesus an erste Stelle setzen will, was zunächst gut klingt.
Jeising: Diejenigen, die diese Aussage benutzen, tun das meistens mit der Haltung: Die Bibel ist ein rein menschliches Buch, und sehen sie nicht mehr als das Mittel, um uns mit dem wahren Jesus, dem lebendigen Wort Gottes, zu verbinden.

factum: Was ist mit «menschliches Buch» gemeint?
Jeising: Die Bibel ist von Menschen geschrieben, das bezeugt sie selber und das stand nie ernsthaft infrage. Dennoch hat sie zu hundert Prozent göttliche Autorität, da alle Schrift von Gott eingegeben ist, wie die Bibel selbst bezeugt. Wenn man jedoch mit «menschlich» zugleich «fehlerhaft», «missverständlich», «zeitgebunden» meint, wie dies im Zusammenhang mit obiger Aussage oft geschieht, dann wird man den wahren lebendigen Jesus vielleicht noch in der Bibel suchen. Aber man stellt sich dabei über das, was tatsächlich dasteht und uns Gott mit klaren Worten sagt.

factum: Was hat das für Folgen, wenn man die Autorität der Bibel einschränkt, aber meint, dennoch an Jesus zu glauben?
Jeising: Es kann zur Folge haben, dass der Jesus, an den jemand glaubt, nicht mehr der Jesus der Heiligen Schrift ist, sondern ein Jesus der eigenen Erfahrung, ein Jesus des religiösen Gefühls oder ein Jesus der gemeinschaftlichen Erfahrung in einer christlichen Mehrheit. Am Ende kann jemand sagen, dass er mit «seinem» Jesus gegen klare Aussagen der Bibel argumentieren will.

factum: Kennen Sie da ein Beispiel?
Jeising: Auf der ethischen Seite habe ich es häufiger gesehen, dass Pastoren, die Jesus gegen die Bibel ausspielen, Jesus und die Vergebung über eine an biblischen Geboten ausgerichtete Ethik stellen. Zum Beispiel heisst es dann: Jesus würde keinen Homosexuellen verurteilen, der sich in Liebe mit einem anderen Menschen verbinden oder heiraten möchte, oder niemand verurteilen, der wegen einer neuen Liebe aus einer Ehe ausbricht.

factum: An welch anderen Aspekt, neben dem ethischen, denken Sie?
Jeising: Die andere Seite betrifft den Glauben selber. Die Heilige Schrift erwartet von uns Glauben im Sinne von Vertrauen auf wörtliche Zusagen Gottes. Durch das Wort der Bibel kennen wir Gott und Jesus persönlich. Mit der Trennung zwischen Bibel und Jesus wird ein Glaube, der eine emotionale Verbindung zu Jesus herstellt, oft als etwas Höherwertiges gesehen. Gefühl und Erfahrung werden höhergestellt als das Vertrauen in das Wort.

Lesen Sie das ganze Interview in factum 01/2018.