Die Würde des Menschen ist der höchste Wert der deutschen Verfassung – sie ist sehr verletzlich. Sie bewusst zu schädigen, gilt als das letzte Tabu. Wenn das zur Regel wird, droht das posthumane Zeitalter, eine Barbarei.
Thomas Lachenmaier
28. August 2018

Die Menschenwürde ist in der deutschen Verfassung als der höchste Wert definiert. Ihre Achtung sei die Grundlage der Zivilisation, sagt Volker Boehme-Nessler, Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. An der Frage, ob dies respektiert wird, entscheide sich, in welcher Gesellschaft wir leben.

Boehme-Nessler schrieb dies in grosser Sorge, die Menschenwürde werde keineswegs durchgängig respektiert. Als ein Beispiel nannte er Texte der deutschen Muslim-Rapper «Kollegah» und «Farid Bang», die in ungeheuerlicher Weise Opfer des Völkermords der Nationalsozialisten verspotten. Wie dramatisch der gesellschaftliche Wandel ist, zeigt sich daran, dass nicht nur Prominente in so gravierender Weise die Menschenwürde verletzen, sondern dass Gerichte dies unter Schutz stellen. Der Liedtext «Mache mal wieder ‘nen Holocaust» stellt nach Meinung deutscher Richter weder eine Billigung noch eine Verharmlosung der NS-Herrschaft und ihres Völkermordes dar. Dasselbe gilt für «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen», was den Leib von Verhungernden mit einem fitness-trainierten Körper vergleicht.

Ein anderer Richter entschied, dass Attentäter, die einen Anschlag auf die Wuppertaler Synagoge verübt hatten, milde zu verurteilen sind – es habe sich nur um «Israelkritik» gehandelt. Und Kuwait-Airlines darf noch immer in Deutschland starten und landen, obwohl sie keine Israelis transportieren.

Die Unantastbarkeit der Menschenwürde beschreibt Boehme-Nessler als «das letzte Tabu, das wir haben». Wenn dieses Tabu fällt, «sind wir auf dem Weg in die Barbarei. Wenn die Menschenwürde nicht mehr verteidigt wird, leben wir in einer rohen, menschenverachtenden Gesellschaft. Alle Zivilisation ist dann nur Fassade».

Die Zivilisation, das Menschliche an unserer Gesellschaft, dass es eben nicht mehr barbarisch zugeht wie auch schon, ist mühsam errungen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Heute vergessen viele, dass es die Zivilität, das Menschliche und Freundliche in unserer Gesellschaft nur deshalb gibt, weil viele, die meisten, diese Werte und die Menschenwürde im Allgemeinen respektieren. Wenn nun der Verstoss dagegen bejubelt und beklatscht, von Gerichten und Polizei toleriert wird, dann gerät das Menschliche zur dünnen Firnis. Dieser Lack ist schnell ab.

Man denke nur an die zunehmende Alltagsgewalt in Schulen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, an die Herabwürdigungen im Internet. Oder an die Gewaltexzesse bei manchen Demonstrationen, dass Linksradikale und Muslime gemeinsam gegen Juden hetzen, die Fahnen der Mörderbanden von Hamas und Hisbollah schwenken – ohne dass der Staat einschreitet.

Die Menschenwürde wurde auch verletzt, als in europäischen Städten nach dem Referendum in Irland, bei dem die Mehrheit für die Freigabe der Abtreibung votierte, linke, grüne und feministische Gruppen Jubelfeiern veranstalteten. Triumphalistisch, mit Lachen und Partylaune bejubelten sie, dass die Mehrheit der irischen Wähler die vorgeburtliche Kindstötung «okay» findet, dass dies jetzt in Irland wohl legalisiert wird. Sie feierten es wie die Geburt eines Kindes, dabei wurde hier der Weg frei gemacht, um die Geburt eines Kindes zu verhindern, es vor der Geburt zu töten. Das war ein Sieg des Todes über das Leben. Der Widersacher Gottes war mitten unter den Demonstranten. Er war der Einzige, der Grund zu feiern hatte.

Die da jubelten und feierten, wissen nicht, dass sie damit ihre eigene Würde beschämen und beschädigen. Jeder von ihnen wird einmal, das kann sehr schnell gehen, so wehrlos sein wie ein ungeborenes Kind. Warum sollte jemand, der dann so viel Macht über sie hat wie wir heute über die ungeborenen Kinder, mit ihnen barmherziger umgehen? Es gibt genauso viele pragmatische Gründe, Schwache, unheilbar Kranke und alte Menschen umzubringen wie die Kinder, die noch nicht geboren sind. Denen, die hier lachen und jubeln, ist mit der Gottesfurcht auch der Verstand abhandengekommen zu erkennen, dass sie mit dem Leben der Schwächsten am Ende ihr eigenes Leben zerstören. In einer gottlosen Gesellschaft zu leben ist für niemanden ein Spaziergang oder gar ein Vergnügen – auch nicht für die Gottlosen.

Es ist, wie Professor Boehme-Nessler sagt: «Wenn wir zulassen, dass die Menschenwürde nicht mehr geachtet wird, dann kommt die posthumane Gesellschaft, die Barbarei.» Deshalb ist es so wichtig, islamischen antisemitischen Hetz-Rappern so entschieden entgegenzutreten wie jenen, die Leben nur für schützenswert halten, solange es so stark ist wie (momentan) ihr eigenes.

Artikel aus factum 06/2018