Mit dem Rettungswagen durch Jerusalem: Unsere Autorin berichtet vom Engagement jugendlicher Helfer beim israelischen Rettungsdienst. Neun von zehn Mitarbeitern arbeiten ehrenamtlich.
Michal Kornblum
18. Juni 2020

Ich sehe die Strassen von Jerusalem an mir vorbeirauschen, während ich in einem Rettungswagen sitze und mich bei rasender Fahrt im dichten Verkehr frage, wohin uns dieser Einsatz bringen wird. Diesen Sommer arbeite ich freiwillig für «Magen David Adom» (MDA), eine israelische Organisation (vergleichbar mit dem DRK bei uns in Deutschland), die unter anderem für die Notfallrettung,  aber auch die Blutbanken in Israel verantwortlich ist.

Unsere israelische Fahrerin dirigiert den schweren Wagen mit Leichtigkeit durch die verstopften Kreuzungen, und ich höre die Sirene aufjaulen, wir werden schneller. Mit an Bord ist ein grosser, gut gebräunter, sympathischer junger Mann. Zeit, ihn kennenzulernen, hatte ich nicht, da wir unsere Schicht erst begonnen haben. Während ich bei der schwankenden Fahrt ordentlich durchgerüttelt werde, überlege ich, wie alt er wohl sein wird, und schätze ihn auf ungefähr 23 Jahre. Die nächste scharfe Kurve in den engen Strassen von Jerusalem reisst mich aus meinen Gedanken und fast vom Sitz, reflexartig greife ich nach der orangenen Halteschlaufe über mir. Wenige Meter später haben wir unser Ziel erreicht. Nach dem Einsatz kommen der junge Mann und ich ins Gespräch. Er erzählt, dass er David heisst, 17 ist und noch zur Schule geht.

Den Rest des Tages bin ich fasziniert, wie erwachsen und reif David sich verhält und wie routiniert er sowohl im Umgang mit jedem Patienten als auch mit allen anfallenden Aufgaben ist. Er hat eine unglaublich positive Ausstrahlung, lernt aktuell Arabisch zur besseren Kommunikation mit arabischen Patienten, und auf meine Frage, wie ihm die Arbeit bei MDA gefällt, antwortet er: «I love it!»

MDA wurde 1930, also 18 Jahre vor der Unabhängigkeit Israels, im damals britischen Mandat von sieben Privatpersonen gegründet, um der Bevölkerung eine Notfallversorgung zur Verfügung zu stellen. In Israel besteht auch heute, im Gegensatz zu Deutschland, der Grossteil des Rettungswesens aus Freiwilligen, auf zehn Freiwillige kommt in etwa eine angestellte Person. Dabei beginnen die Freiwilligen häufig als 15-Jährige, bleiben dann, bis sie 18 sind und ihre Wehrpflicht beginnen, und kehren nach ihrem Dienst oft wieder zu MDA zurück. Die Freiwilligen kommen aus allen Bevölkerungsgruppen und haben unterschiedliche Backgrounds: Juden und Christen, Muslime und Drusen, Orthodoxe und Säkulare, Schüler und Studenten, Hausfrauen, Juristen, Lehrer und Manager arbeiten hier Hand in Hand.

In meiner Zeit dort habe ich viele engagierte Freiwillige getroffen, aber besonders die Youth Volunteers, also die zwischen 15- und 18-Jährigen, haben einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. In diesem jungen Alter arbeiten sie ehrenamtlich als vollwertiges Mitglied eines Teams in einem Rettungswagen und wollen damit in ihrer Freizeit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Und, seien wir mal ehrlich, die Arbeit im Rettungswagen bietet einem Jugendlichen wenig Glamour. Man verbringt viel Zeit mit hilfsbedürftigen alten Menschen, sieht Traurigkeit und macht sich auch mal schmutzig. Dann gibt es auch die andere schockierende Seite, auf der man schweren Unfällen – eventuell, wie in jüngster Vergangenheit – auch Terroranschlägen und dem Tod begegnet. Auch diese Seite betrifft die jungen Freiwilligen, denn keiner weiss, was für ein Einsatz es ist, wenn das Tablet einen neuen Fall meldet.

Finden Sie nicht auch, dass das sehr viel Verantwortung für so junge Menschen ist? Können Sie sich deutsche Jugendliche mit 15 Jahren in solchen Situationen vorstellen, und wie kommt es, dass israelische Jugendliche so früh dermassen verantwortungsbewusst werden?

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 02/2020.