Im deutschen Protestantismus findet seit Längerem eine theologische Entkernung statt. Was übrig bleibt, ist eine Fassadenarchitektur. Diesen Vorwurf erhebt der Medienwissenschaftler Prof. Norbert Bolz.
factum-Redaktion
23. Februar 2017

Wie er in einem Interview mit der «Wirtschaftswoche» weiter sagte, gilt der Reformator Martin Luther (1483–1546) der Kirche als Störfaktor, den «man am liebsten eliminieren möchte, um eine modernitäts- und talkshowtaugliche Form von Protestantismus zu präsentieren». Zu den «Todsünden» der evangelischen Kirche gehöre ihre «dilettantische Einmischung in politische Fragen, von denen sie schlechterdings keine Ahnung» habe. Auch da könnte sie, so Bolz, von Luther lernen, der Politik und Religion scharf getrennt habe.

Das  Streben nach irdischem Glück bezeichnete Bolz als «Sackgasse der Moderne». Diese Glücksangebote seien «sämtlich gescheitert, vom Sozialismus bis zu diversen Projekten der Selbstverwirklichung. Der hedonistische Weg zum Glück führt in die Leere, ins Nichts. Und das merken die Leute.» Wenn man – etwa angesichts des Todes – sein Leben radikal befrage, seien Fragen nach Heil und Erlösung viel dringlicher als die nach Glück.

Mit dem Thema Heilsgewissheit hätten sich auch die Menschen vor 500 Jahren beschäftigt: «Wenn Luther von einem gnädigen Gott spricht, dann meint er eine transzendente Instanz, die unsere Sünden von uns nimmt in einem Akt der Begnadigung, die wir gar nicht verdient haben.» Wer vor einem gnädigen Vater in die Knie gehe, brauche vor nichts anderem mehr Angst zu haben: «Dann sind Sie frei. Das ist das Irre, das Tolle an dieser Sache: Wenn Sie sich einlassen auf den Glauben an den allmächtigen Gott, dann kann Ihnen nichts mehr passieren.»

(Artikel aus factum 1/2017)