Gesundheit ist bekanntlich ein hohes Gut. Dies kommt auch in der Bibel zum Ausdruck. Im 3. Johannesbrief wünscht der Apostel einem Gajus Wohlergehen – nicht nur auf der geistlichen Ebene, sondern auch leiblich: «Der Älteste an den geliebten Gajus, den ich in Wahrheit liebe. Mein Lieber, ich wünsche dir in allen Dingen Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlgeht!» (3. Joh. 1,1–2). Man muss jedoch nicht in biblische Epochen zurückgehen, um in der Sprache solche Ausdrücke zu finden. Einander «Gesundheit» oder «Wohlergehen» zu wünschen, war in allen Zeiten üblich und mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Erst in unserer Zeit kommen solche Grüsse allmählich aus der Mode – möglicherweise, weil man sich angesichts einer nie da gewesenen Fülle an medizinischer Versorgung vor vielen früheren Plagen sicher wähnt.
Den Menschen früherer Epochen, die viele Medikamente und andere Hilfsmittel von heute nicht kannten, war der Wert der Gesundheit weit mehr bewusst. Fast über die gesamte Menschheitsgeschichte waren die Ursachen der meisten Krankheiten unbekannt. Therapien wurden nach dem Prinzip «Versuch macht klug» entwickelt. Dies änderte sich erst durch die systematische Erforschung von Mikroorganismen ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch Mikrobiologen wie Robert Koch oder Louis Pasteur. Dennoch gab es einige «mysteriöse» Erkrankungen, die erst in der Zeit zwischen 1900 und 1940 als Vitaminmangelerscheinungen verstanden wurden.
Als «Vitamine» werden dreizehn Stoffe bezeichnet, das heisst kleine organische Moleküle, die dem Körper von aus-sen zugeführt werden müssen, weil unser Körper sie nicht herstellt. Ihr Massenanteil am Essen liegt im Millionstel-Bereich und ist damit verschwindend gering. Dennoch können wir nicht lange ohne Zufuhr dieser essenziellen Moleküle überleben. Aus diesen Gründen war die Geschichte der Entdeckung einiger Vitamine von zwei Aspekten geprägt: einem hohen Leidensdruck der Patienten und sehr langwierigen Wegen bis zur Entdeckung der winzigen «Lebensretter».
Viele Mangelerscheinungen
Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden Zusammenhänge zwischen der Ernährungsweise und bestimmten Krankheiten durch Beobachtung hergestellt. Die Nachtblindheit war eine der ersten durch Vitamindefizit verursachten Mangelerscheinungen, die beobachtet wurden. In der Antike wurde die Krankheit als «Nyktalopie» bezeichnet. Die Behandlungsmethoden von damals waren nichts für empfindliche Gemüter: In einer ägyptischen Papyrusrolle aus der Zeit von vor 1550 v. Chr. – dem Papyrus Ebers – wurde neben dem Sprechen von Beschwörungsformeln empfohlen, Lammleber in die Augen nachtblinder Patienten auszudrücken. Hippokrates empfahl den Verzehr grosser Mengen roher Tierleber. Im Laufe der Geschichte wurden weit angenehmere Therapien entwickelt. Ende des 19. Jahrhunderts war allgemein bekannt, dass Nachtblindheit durch Verzehr von Dorschleberöl, Fleisch oder Milch behandelt werden konnte. Warum diese Nahrungsmittel hilfreich sind, wurde aber erst in den Jahren 1912–1914 verstanden. Die Wissenschaftler Frederick Gowland Hopkins und Elmer McCollum führten Fütterungsexperimente mit Ratten durch und fanden heraus, dass der Wirkstoff gegen Nachtblindheit in Butter enthalten sein muss. McCollum extrahierte das «aktive Lipid (Fett)» schliesslich aus Butterfett. Der Wirkstoff wurde später als Vitamin A bezeichnet.
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