Das Online-Magazin Multipolar hat Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Januar 2020 bis April 2021 freigeklagt.(1) Die Protokolle zeigen, dass die Politik von Beginn der Corona-Krise an ihre Entscheide nicht auf evidenzbasierte medizinische Grundlagen stützte.
Raphael Berger
1. Juni 2024

Bedeutet Politik, rein evidenzbasierte Entscheide zu treffen? Nein, Politik ist mehr – Politik bedeutet, unter Gesamtabwägung einer Situation Entscheide zu fällen. Und doch: Wenn Entscheide keine evidenzbasierte wissenschaftliche Grundlage haben, sind sie Ausdruck von Willkür. Genau dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Protokolle des RKI-Corona-Krisenstabs durchsieht. In den mehr als 200 Protokollen sind über 1000 Stellen geschwärzt. Trotzdem zeigen sie: Im RKI wurde kontrovers diskutiert und oft auch Empfehlungen an die Politik abgegeben. Die politischen Entscheidungsträger wiederum ignorierten häufig die Ansichten des Krisenstabes, begründeten aber gleichzeitig viele Massnahmen mit einer angeblichen Alternativlosigkeit und behaupteten, ihre Beschlüsse seien von «der» Wissenschaft gedeckt.

Das Tragen einer FFP2-Maske wurde immer wieder mit einem belegten erhöhten Schutz gegen die Verbreitung des Virus erklärt. Dabei war der Nutzen nicht unumstritten. Im Protokoll vom 30. Oktober 2022 wird festgehalten, dass es «keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken ausserhalb des Arbeitsschutzes» gebe. Sie hätten bei «nicht korrekter Anpassung und Benutzung keinen Mehrwert». Zu potenziellen 3G-Regeln notierte das RKI am 5. März 2021, dass Privilegien für Geimpfte und Genesene «fachlich nicht begründbar und nicht sinnvoll» seien. Selbst die WHO lehnte ein Impfzertifikat zu diesem Zeitpunkt wegen mangelnder «Fälschungssicherheit» und «ethischen Gründen» ab. Ein Impfzertifikat solle «die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein».

In Bezug auf die Sterblichkeit steht am 19. März 2021: «Das Hauptrisiko, an COVID-19 zu sterben, ist das Alter.» Trotzdem sollte das Argument, dass ältere, gebrechlichere Menschen auch ohne COVID-19 zeitnah versterben würden, «entschärft» werden. In Bezug auf den Vergleich mit der Grippe, den sich die Politik vehement verbat, steht: «COVID-19 sollte nicht mit Influenza verglichen werden, bei normaler Influenzawelle versterben mehr Leute, jedoch ist COVID-19 aus anderen Gründen bedenklich(er).» Besonders brisant ist das Protokoll vom 16. März 2020. Hier heisst es: «Am WE wurde eine neue Risikobewertung vorbereitet. Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald ‹XXX› (geschwärzt, Anm. d. Red.) ein Signal dafür gibt.» Einen Tag später stufte das RKI die Einschätzung des Coronavirus-Risikos von «mässig» auf «hoch» herauf – obwohl die Quote der positiven Tests nur leicht von sechs auf sieben Prozent gestiegen war und die Zunahme der positiven Corona-Fälle vor allem auf die Ausweitung der Corona-Tests zurückzuführen war. Kurz darauf wurde das Land mit dem ersten Lockdown lahmgelegt.

Schon dieser kurze Auszug zeigt recht deutlich, dass von Anfang an keine faktenbasierte medizinische Evidenz Grundlage vieler Entscheidungen und Massnahmen war. Nun kann man das zu Beginn noch mit der allgemeinen Unwissenheit begründen, weil nicht wirklich abschätzbar war, wie gefährlich dieses Virus werden würde. Spätestens nach ein paar Wochen hätte man jedoch mehr als genug Informationen gehabt, um der Sache ein Ende zu bereiten.

1 https://multipolar-magazin.de/artikel/rki-protokolle-2

Meldung aus factum 03/2024