Kreuz und Auferstehung ist die Entfaltung der liebenden Heilszuwendung Gottes. Christen sind berufen, Menschen in Jesu Nachfolge einzuladen. Sehen sie, dass wir ihm und seinem Ruf folgen?
Albrecht Hauser
15. Juni 2022

In Johannes 12 befindet sich Jesus in Jerusalem, wenige Tage vor seiner Kreuzigung. Einige Griechen wollen ihn sehen. Jesus nimmt dies zum Anlass, auf seinen nahen Tod am Kreuz hinzuweisen, weil sein Sterben der Ort seiner wahren Verherrlichung ist. Er macht deutlich, dass dies zugleich auch der Ort seiner Erhöhung und Verherrlichung ist; ein heilvolles Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte. Er spricht vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, stirbt und dadurch viel Frucht wirkt; von der Christusnachfolge als ein Weg des Kreuzes, ein Weg in seinen Fussstapfen. Er spricht von seinem Kreuz als die Mitte des Heils, als Ort, an dem letztendlich nicht nur die Schuld-, sondern auch die Machtfrage entschieden wird (und wurde). Das Kreuz als Ort der Schuld- und Sündenvergebung. Ort der Orientierungs- und Lebenswende für alle, die IHM wirklich nachfolgen. Und dann diese Zusage: «Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde» (Joh. 12,32–33).

Christus, die Mitte

Die Apostel mussten dies erst begreifen, bezeugen dann aber: «Wir sehen Jesus, durch Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehre; denn durch Gottes Gnade sollte er für alle den Tod schmecken» (Hebr. 2,9). Jesus erhöht am Kreuz und dadurch erhöht zur Rechten Gottes, des Vaters. Daher bezeugt er im Voraus: «Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes» (Luk. 13,29).

Die frühe Gemeinde besingt dies in einem Hymnus: «Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod. Darum hat Gott ihn auch erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über allen Namen ist» (Phil. 2,8–9). Auf der Insel Patmos im Johanneskloster ist ein grosses Mosaik mit Jesus als dem Pantokrator. Daneben steht in griechischen Buchstaben: «Jesus ist immer König!»

Die Himmelfahrt ist die logische Konsequenz der Erhöhung Jesu am Kreuz. Gottes Menschwerdung in Jesus, sein Leben, sein Leiden, sein Sterben am Kreuz, seine Auferstehung und Erhöhung ist die Entfaltung der liebenden Heilszuwendung Gottes. Hierin liegt die enorme Zugkraft des Evangeliums bis in unsere Tage. Im Jahre 1900 gab es zum Beispiel in ganz Afrika etwa 9 Millionen Christen, im Jahre 1960 waren es schon 60 Millionen und heute (im Jahre 2020) sind es mehr als 650 Millionen. Ausgerechnet in der Zeit von 1960 bis heute, wo bei uns immer wieder die Diskussion aufflammte, ob Mission nicht ein schuldbeladenes Relikt der vergangenen Tage und der Kolonialzeit sei, haben die Kirchen Afrikas ihr grösstes Wachstum verzeichnet.

Jesu Tod am Kreuz, seine Auferstehung und Himmelfahrt: Diese doppelte Erhöhung ist die Mitte des Evangeliums. Das können wir uns nie genug bewusst machen. Pfingsten und der darauffolgende Lauf des Evangeliums durch die Zeit ist die Konsequenz und die Entfaltung der Zusage Jesu: «Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, will ich alle zu mir ziehen.»

Es dreht sich alles um Jesus Christus und damit verbunden um die Frage, wie wir zu IHM stehen. Das müssen wir uns immer wieder neu fragen. Nicht etwa existiert Jesus um der Kirche willen, sondern die Kirche Jesu Christi existiert – trotz und in all ihrer Unfertigkeit – ganz und gar um Jesu willen. Sie ist durch IHN gesandt in die Welt, um seinen Namen zu verkündigen und um alle in seine Nachfolge einzuladen. Dazu wurde sie an Pfingsten mit der Kraft aus der Höhe ausgerüstet. Jesus ist um dieses Auftrags willen durch seinen Heiligen Geist gegenwärtig: «Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende» (Matth. 28,20).

Die Kirche Jesu Christi unterliegt also nicht primär den marktwirtschaftlichen Gesetzen und Optimierungsmassnahmen der jeweils zeitgeistigen Entwicklung, bei der man sich zufrieden gibt mit dem dekorativen Symbol- und Kunstwert des Kreuzes einer zivilen Religiosität. Nein, hier steht die reformatorische Frage immer neu im Raum, inwieweit unsere Zeitgenossen es uns anmerken, dass wir in der Nachfolge Jesu stehen und ER unser Ein und Alles ist. Geht es uns zu jeder Zeit und in allen Lebenslagen wirklich zuerst um seine Ehre?

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 04/2022