Supranationale Digitalkonzerne wie Microsoft setzen sich mit Hilfe nationaler Regierungen über das Recht, über Nationen und die demokratische Ordnung hinweg. Christen sind herausgefordert.
Thomas Lachenmaier
12. März 2021

An Weihnachten veröffentlichte der Kolumnist Milosz Matuschek (Zürich) einen Text, es war eine Art innere Antwort auf das zurückliegende Jahr, ein Atemholen vor dem, was das Neue Jahr wohl bringen wird. «In den letzten Tagen ist mein Blick abends immer hoch zu den Sternen gewandert. Da war einmal die Nähe von Jupiter und Saturn, die man bestaunen konnte. Mich zog aber wohl noch etwas anderes an. Es war irgendwie beruhigend, eine kosmische Ordnung zu bestaunen, die in ihrer majestätischen Ewigkeit und unendlichen Entfernung so gnädig und teilnahmslos auf die irdische Unordnung herabblickt.»

Über diese irdische Unordnung hatte Matuschek, der seit sechs Jahren als Kolumnist in der «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) Lesenswertes veröffentlicht, im vergangenen Jahr berichtet. Wir erleben «einen Angriff auf die Logik, die klare Sprache, das bessere Argument», schreibt er. Es sei nicht mehr selbstverständlich, dass 2+2=4 ergibt. Dann geriet er selber in den Strudel, in den diese Zeit gerissen ist. Er hatte in einem Essay das Missverhältnis zwischen den Todeszahlen bzw. Hospitalisierungen und der Verhältnismässigkeit aktueller Covid-Massnahmen kritisch bewertet. Kurz darauf trennte sich die «NZZ» von ihrem Autor, nachdem er den Text noch auf einer Seite veröffentlicht hatte, die «umstritten» ist, auf der Vernünftiges und Unvernünftiges steht. Aber für welches Medium sollte das nicht gelten? Er hat damit gegen das «Kontaktverbot» verstossen. Wer irgendwo veröffentlicht, wo den behördlichen Vorgaben und dem Hauptstrom der Medien widersprochen wird – mit guten oder schlechten Argumenten –, der soll keinen Fuss mehr auf den Boden kriegen. Tausende sind davon betroffen: Wissenschaftler, Redakteure, Blogger, Fachleute verschiedenster Fachgebiete.

In seinem Text erinnerte Matuschek an die ursprüngliche Weihnacht: «Für viele Gläubige ist es ein Fest der Hoffnung, denn es wird der Retter geboren, der die Menschen von ihrem Joch befreit. Viele Menschen schöpfen aus diesem Gedanken Kraft und Zuversicht», schreibt er respektvoll. «Zur Zeit Jesu sollten sich die Menschen in Listen eintragen, zur ersten grossen Volkszählung. Auch heute liegen wieder Listen aus. Unsichtbare Listen. Man trennt zwischen Gut und Böse.» Auf seine Jahre bei der «NZZ» blicke er nicht mit Groll, «sondern in Dankbarkeit», sagt Matuschek. Er hält an der Notwendigkeit der Freiheit gemeinsamer Willensbildung über alle Differenzen hinweg fest und veröffentlicht auf seiner Website weiterhin Kommentare und Essays.

In welch dramatischer Weise das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit durch Microsoft, Facebook, Google, Apple und Amazon zerstört wird, zeigt der dramatische Appell, den der Vorsitzende des Axel Springer Verlages, Matthias Döpfner, am 28. Januar in der «Welt» an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen richtete. Er forderte sie auf, diesen supranationalen Megakonzernen durch ein Gesetz zu verbieten, persönliche und sensible Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu nutzen. Es gehe darum, ob diese Konzerne, die «ihre Kunden ausspionieren wie Geheimdienste (...) über dem Recht, über einer Regierung und über der demokratischen Ordnung stehen» dürfen. Die «absolute Dominanz dieser Plattformen» (allein Google und Facebook kontrollieren 46 Prozent des weltweiten Werbemarktes, in drei Jahren wahrscheinlich 60 Prozent) bedeute perspektivisch «das fast völlige Verschwinden der Vielfalt journalistischer, künstlerischer und kommerzieller Angebote».

Durch das Sperren von Accounts für Politiker und missliebige Personen und Organisationen, stellen sich diese Macht- und Meinungsmonopolisten «über das Recht und die demokratischen Institutionen», so Döpfner. Wenn die EU sich dem nicht durch ein Gesetz in den Weg stellt, «liefern wir uns einer neuen Ordnung aus, (...) in der Menschenrechte, Selbstbestimmung und Freiheit im Rahmen der Gesetze nicht mehr gelten. Wir liefern uns einem Überwachungskapitalismus aus, der alles auf den Kopf stellt, wofür Europa stand.» Indes, die Hoffnung, dass ausgerechnet die EU und Deutschland dem entgegenstehen, hat keinen Halt. Es sind Angela Merkel und Ursula von der Leyen, die dieser Politik den Weg bereiten. Aber Döpfner hat Recht: «Totale Transparenz endet immer totalitär.»

Wo die Informationsaufnahme und die freie Debatte behindert werden, gerät zwangsläufig der christliche Glauben ins Hintertreffen. Wer irgendwo anfängt, Wahrheit anzutasten, der wird am Ende gegen die Wahrheit vorgehen und gegen jene, die für sie einstehen. Diese Entwicklung hat schon vor Langem begonnen. Christen werden diffamiert, fast täglich wird irgendwo eine Kirche angegriffen, angezündet, beschmiert. Menschen, die Jesu Auftrag ernst nehmen, indem sie sich gegen das Töten ungeborener Kinder wenden und schwangeren Frauen helfen, werden attackiert, ihre Beratungsräume zerstört. Das Urteil gegen den Bremer Pastor Olaf Latzel wegen Volksverhetzung ist ein Beispiel für diese Entwicklung, zu der auch gehört, dass andererseits bei Face-book und Twitter und auf Demonstrationen ungestraft zur Vernichtung Israels aufgerufen werden kann.

Die digitale Behinderung von christlichen und konservativen Medien und von Bloggern wird nach dem «Schulterschluss von Big Tech und Big Washington» (wie es der Schweizer Publizist Roger Köppel beschrieb) flächendeckend umgesetzt. Die marktbeherrschenden Medientechnologiekonzerne Microsoft, Twitter, Facebook, Apple, Google und Amazon verhindern die Verbreitung unerwünschter Meinungen durch das Sperren der technischen Infrastruktur, durch manipulierte Algorithmen (etwa Facebook, Instagram, Twitter) und durch das Löschen missliebiger Nachrichten, Kommentare und ganzer Zugänge und Blogs. «Die Plattformen sind zu aktiven Zensoren geworden», schreibt der Publizist Matthias Döpfner. Sie sind längst «Teil des publizistisch-politischen Systems. Und immer mehr Sinnbild der von Hans Magnus Enzensberger so gefürchteten ‹Bewusstseins-Industrie›.» Wenn das Mittel der Zensur durch Weltmonopole, zum Beispiel auch bei Fragen der Klimapolitik, angewendet wird, «dann wäre die offene Gesellschaft des Westens nicht mehr offen». Das ist seit Langem der Fall, auch bei Themen wie Abtreibung, Migration und Covid.

Längst aufgegleist ist auch der nächste Schritt, die Kriminalisierung und Pathologisierung der anderen Meinung. Die amerikanische Politikerin Tulsi Gabbard warnt vor der «Entmenschlichung des politischen Gegners». Die Biden-Administration bringt ein Gesetz gegen «Inlands-Terrorismus» auf den Weg, im Visier sind unter anderem liberal gesonnene Bürger und «religiöse Extremisten», was wohl mit «evangelikale Christen» zu übersetzen ist. «Gelten Menschen, die ‹pro life› sind, jetzt als potenzielle Terroristen?», fragt Gabbard. Passt die Bibel eigentlich noch in diese Welt multipler, subjektiver Wahrheiten?

Wenn die Kritiker der radikalen Lockdown-Politik von deutschen Politikern in die Nähe der RAF-Terroristen gerückt werden, die den Rechtsstaat zerstören wollten und viele Menschen ermordeten, dann ist die Brisanz der Entwicklung deutlich. Boris Reitschuster, der 16 Jahre lang als Korrespondent des Magazins «focus» in Moskau arbeitete, sieht sich durch Äusserungen von Angela Merkel, die Systemkritiker in die Nähe von psychisch Kranken rückt, an die kommunistische Praxis erinnert, missliebige Personen in psychiatrischen Anstalten wegzusperren2. In ganz Deutschland werden derzeit Haftplätze geschaffen, meist bei psychiatrischen Anstalten, um «Corona-Verweigerer» inhaftieren zu können. Es werden sogar mehrere Gefängnisse gebaut, etwa in Sachsen und in Nordbayern. Dass man Personen, die sich tatsächlich vorsätzlich zur Gefahr für andere Menschen machen, nach rechtsstaatlicher Prüfung mit Repression begegnen kann, sei dahingestellt. Aber tausende Haftplätze in medizinischen Einrichtungen schaffen, Gefängnisse bauen? Es fällt schwer, dafür gute Gründe anzunehmen.

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 02/2021.