China treibt den «Marxismus chinesischer Prägung» voran. Der einstmals christlich geprägte Westen hat dem wenig entgegenzusetzen und wünscht sich dieselben Kontrollsysteme.
Dr. phil. Susanne Roßkopf
17. Oktober 2022

China ist zu einem «Global Player» geworden, hat einen festen Platz auf dem Parkett der Weltmächte, will fortan in deren Konzert die erste Geige spielen und reklamiert Hegemonialmacht im asiatischen Raum. China will der Welt beweisen, dass der chinesische Traum die neue Weltreligion ist und der amerikanische Traum sowie die westlichen Demokratien gescheitert sind. Deutlicher könnte die Marschrichtung nicht proklamiert werden. Individualismus, Pluralismus und Kapitalismus beschleunigen aus Sicht der Chinesen den Niedergang der westlichen, christlich-abendländischen Kultur und dienen als abschreckendes Vorbild. Eingeschworen wird das chinesische Volk auf den Traum, den der stets leicht lächelnde Präsident Xi Jinping unermüdlich beschwört – die «Sinisierung des Marxismus», der «Marxismus chinesischer Prägung». Auf der Folie des Marxismus wird die Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der chinesischen Kultur geknüpft.

Warum hat China die Segnungen des Westens, den Vorsprung an Wissen und Technologien, den Aufbau stabiler Demokratien und Rechtsstaatlichkeit, zivile Errungenschaften wie Freiheit, Achtung der Menschenrechte, individuelle Selbstbestimmung auf eigenwillige Weise rezipiert und sich nicht einfach an den Westen adaptiert? Die Ursachen und Gründe sind vielfältig, auch der Westen hat seinen Anteil daran. Die folgenden Betrachtungen sind Versuche einer Annäherung.

Historische Entwicklungen

Mitte des 19. Jahrhunderts war China stärkste Weltmarktmacht1 und nahm in der globalen Bevölkerungsstatistik mit einer Gesamtzahl von circa 430 Millionen Platz 1 ein (im Vergleich DE ca. 33 Mio.). Befeuert durch die imperialen Ambitionen des Westens betrieben die Briten mit grossem Eifer den Import von Opium nach China – sehr zum Unwillen der kaiserlichen Regierung, die diesen Handel unterbinden wollte. Die Briten zeigten sich nicht willens, auf diese Einnahmequelle zu verzichten und in einem kurzen Waffengang waren die Verhältnisse geklärt. Der erste Opiumkrieg endete 1842 mit einer schmachvollen Niederlage Chinas. Es war nicht nur eine militärische Niederlage, sondern auch eine tiefe psychologische Kränkung: China verlor sein Gesicht, seine Ehre – für die asiatische Kultur schlimmer als der Tod.

Verarmung und ökonomische Krisen förderten die Entwicklung revolutionärer Potenziale im Reich der Mitte mit seiner heterogenen Bevölkerungsstruktur (z. B. von Muslimen im Nordwesten, dem Gebiet der heutigen Uiguren, in Tibet und der Mongolei). Die wirtschaftliche Entwicklung war desaströs, die Zahl der Besitzlosen wuchs gigantisch. Ein Pulverfass, das mit der Taiping-Revolution (1851–1864) schliesslich explodierte. Der grösste und blutigste Bürgerkrieg der Weltgeschichte forderte 20–30 Millionen Opfer. Hong Xiuquan, der Anführer des Aufstands, erkannte eine Berufung zum angeblichen Propheten Gottes: Sein Traum war die Schaffung einer gerechten, friedvollen Welt mit hohen ethischen (= christlichen) Prinzipien. In aufreibenden Kämpfen versuchten die kaiserlichen Truppen anfangs erfolglos die Niederschlagung der Bewegung. Am Ende war der Sieg dem Einsatz moderner Waffen auf Basis westlicher Technologien und einer von Briten geschulten Armee geschuldet – eine bittere Einsicht und weitere Niederlage für die Chinesen.

1    Stefan Aust in einem Interview vom 13.01.2022 in https://www.die-tagespost.de/

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