Jenseits der Frage, inwieweit der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist, hat im Frühjahr 2019 die deutsche Lehrerin Verena Brunschweiger mit ihrem Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» eine hitzige Debatte losgetreten. Ihre These: «Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann.»
Dominik Lusser
28. Juli 2019

Wie man Neugeborenen ihren CO2-Ausstoss vorwerfen und gleichzeitig selbst weiteratmen kann, ist eine schwer beantwortbare Frage. Doch was steckt, abgesehen von Individualismus und Egozentrik, noch hinter der Kinderfrei-Ideologie?

Es scheint eine Auffassung vom Menschen zu sein, die diesen als Schmarotzer und Feind, als Gegensatz zur Natur versteht. Doch das stimmt keineswegs, wie der französische Philosoph Fabrice Hadjadj kürzlich im Magazin «Melchior» (Nr. 10/2019) zu bedenken gab: Der Mensch sei «ein natürliches Wesen, das gleichzeitig über die Natur hinausgeht». Er sei das einzige Lebewesen, das sich um andere Arten sorgen könne, «sogar ohne Eigeninteresse». Kein Grund also, in Klima-Verzweiflung zu verfallen.

Hadjadj, der mit seiner Familie im schweizerischen Freiburg wohnt, rät, Ökologie weniger als theoretisches System zu denken, als vielmehr von da aus, wo sich die Natur für den Menschen an erster Stelle zeige: «im Familienleben». Der Mensch wird in eine Familie hineingezeugt und geboren. Dort werden seine natürlichen Bedürfnisse nach Nahrung und Geborgenheit gestillt. «Die Welt zu retten, indem man die Kinder eliminiert», findet Hadjadj «problematisch». Denn das hiesse, «ein Paar müsste im Namen der Natur darauf verzichten, was ihm am natürlichsten ist». Das wahre Problem sei der verschwenderische Lebensstil, nicht die Kinderzahl. «Gerade das Familienleben hindert dich nämlich, dich im Konsum zu verlieren. Je individualistischer wir leben, desto grösser die Konsumexplosion.»

Der achtfache Vater weiss aus eigener Erfahrung: «Recycling steht in kinderreichen Familien an der Tagesordnung. Es sind ja nicht alle gleichzeitig klein und Zeit zum Shoppen hat man herzlich wenig.» Der Lebensstil in der kinderreichen Familie sei stärker ans «oikos» (griechisch für «Haus») gebunden, von dem auch der Begriff «Ökologie» stammt: «Man spielt gemeinsam, man lernt teilen und man macht keinen interkontinentalen Flug.» Vieles deutet darauf hin: Wenn der westliche Mensch seine Einstellung zu sich selbst und zur Familie wieder ins Lot bringt, dürfte es auch der Welt besser gehen.

Meldung aus factum 06/2019.