Vor 80 Jahren zerstörten Deutsche in einer Nacht mehr als 1400 Synagogen. 50 000 Menschen wurden deportiert, 1300 Todesopfer können auf diese Schreckensnacht zurückgeführt werden.
Johannes Gerloff
3. Dezember 2018

Der 9. November ist ein schicksalsträchtiges Datum für Deutschland. Am 9. November 1918 beendete die Novemberrevolution die Herrschaft des deutschen Kaisers. 1848 war der deutsche demokratische Politiker, Revolutionär und Antisemitismuskritiker Robert Blum an diesem Tag ermordet worden. 1923 versuchten die NSDAP und Adolf Hitler, sich an diesem Datum erstmals an die Macht zu putschen. 1989 fiel die Öffnung der Mauer, die Deutschland vier Jahrzehnte lang geteilt hatte, auf den 9. November. Zum Nationalfeiertag Deutschlands wurde der 9. November vor allem deshalb nicht, weil am 9. November 1938 die so genannte «Reichskristallnacht» als eines der schwärzesten Daten in die Annalen der deutschen Geschichte einging.

Der Jerusalemer Professor Meier Schwarz hat sich im Rahmen des Forschungsinstituts «Synagogue Memorial» der Erforschung dieses Datums verschrieben. Er hält den Begriff «Kristallnacht» für euphemistisch und verharmlosend für ein mörderisches Pogrom, das von den Nazis minutiös geplant und landesweit durchgeführt wurde.

Ursprünglich hatte der Chef der Reichssicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, am 11. November 1938 dem preussischen Ministerpräsidenten Hermann Göring 36 Todesfälle und 36 Schwerverletzte unter der jüdischen Bevölkerung des deutschen Reiches gemeldet. Ein Geheimbericht des Obersten Parteigerichts sprach im Februar 1939 dann schon von 91 Toten. Trotzdem wurde die Zahl 36 jahrelang in der Literatur als endgültige Opferzahl weitergegeben und selbst von Wissenschaftlern immer wieder abgeschrieben. Mittlerweile weiss man von ungefähr 400 Menschen, die in der eigentlichen Pogromnacht ermordet wurden.

Heydrich hatte an Göring gemeldet: «An Synagogen wurden 191 in Brand gesteckt, weitere 76 vollständig demoliert.» Diese «Heydrich-Zahl» von 267 zerstörten Synagogen wurde erst durch die sorgfältige Arbeit des «Synagogue Memorial» korrigiert. Mittlerweile ist nachweisbar, dass in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Deutschland mindestens 1406 Synagogen und jüdische Betstuben niedergebrannt oder vollständig zerstört wurden. 50 000 Juden wurden deportiert. Von den Statistiken werden die Todesopfer bis heute nicht als «Holocaustopfer» geführt.

Leider sind die Blindheit für diese Ereignisse, die zur Ermordung von sechs Millionen Juden geführt haben, das jahrzehntelange Ignorieren des eigentlichen Ausmasses dieser Nacht des Verbrechens und das Schweigen des Grossteils der damaligen deutschen Bevölkerung symptomatisch für derlei Ausbrüche des Hasses auf das jüdische Volk. Meier Schwarz schrieb vor zwanzig Jahren in einer Presseverlautbarung seines Instituts: «Hätte die Bevölkerung in der Pogromnacht nicht geschwiegen, hätte ein solcher Holocaust vielleicht verhindert werden können. Wer Verbrechen mit ansieht oder verschweigt, beteiligt sich an ihnen!»

Im Oktober 2000 wurde mir einmal mehr bewusst, wie wichtig es ist, der Ereignisse des 9. November 1938 zu gedenken. Als Journalist beobachtete ich die tagelangen Gefechte um das Josefsgrab im Zentrum der heute arabischen Stadt Nablus, des biblischen Sichem. Nach dem Abzug der israelischen Armee verwüstete der palästinensische Mob die heilige Stätte der verhassten Juden mit blossen Händen. Wenige Tage später wurde sie zur Moschee geweiht, die Kuppel grün gestrichen. Heute ist das Areal abgesperrt. Palästinensische Polizisten verwehren jedem Interessierten den Zugang.

Nach den Abkommen von Oslo sollten Juden eigentlich an dem Ort beten dürfen, den ihr Vater Jakob in grauer Vorzeit von den Söhnen Hamors gekauft hatte. Später wurden dort die Gebeine des Stammvaters Josef bestattet (vgl. 1. Mose 33,18–20; Josua 24,32; vgl. 1. Mose 50,25; 2. Mose 13,19). Wie kaum ein anderer Ort ist das Grab Josefs für gläubige Juden mit der Hoffnung verbunden, dass der Gott Israels seine Verheissungen wahr macht. Heute können orthodoxe Juden nur noch unter Lebensgefahr, bei Nacht und Nebel am Grab des Stammvaters beten.

Derlei Ereignisse sind weder einzigartig noch unerwartet. Palästinenser haben alle Synagogen, die in ihre Hände fielen, entweiht und zerstört. Wer sich als Deutscher heute unter Arabern bewegt, weiss, dass Hitler bewundert und verehrt wird. Einziger Kritikpunkt von Palästinensern ist in der Regel, dass er «seine Arbeit nicht ordentlich zu Ende geführt hat». Heute wie damals schweigt die überwältigende Mehrheit der Zuschauer weltweit. Der arabische Hass auf das jüdische Volk wird kaum irgendwo thematisiert, obwohl er als eine der entscheidenden Ursachen des Nahostkonflikts angesehen werden muss.

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