Israel, zu biblischer Zeit ein fruchtbares Kulturland, verfiel nach dem Exodus des jüdischen Volkes zu einer Wüstenei. Der historische Bericht eines Experten lehrt Staunen über die Wiedergeburt.
Stefan Frank
10. August 2019

Das Land könne nicht Hunderttausende oder gar Millionen weitere Bewohner ernähren. So lautete Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre eines der Hauptargumente zur Beschränkung der jüdischen Einwanderung in das britische Mandatsgebiet Palästina und gegen die Gründung eines jüdischen Staates. Doch als der renommierte amerikanische Agrar- und Forstwissenschaftler Walter Clay Lowdermilk (1888–1974) vor 75 Jahren, im Jahr 1944, das Buch «Palestine, Land of Promise» veröffentlichte, räumte er mit diesem Vorurteil gründlich auf. Palästina könne Lebensmittel für Millionen Menschen produzieren, erklärte er, und so nach dem Krieg die verfolgten Juden Europas aufnehmen. Er pries die von den jüdischen Siedlern in Angriff genommene Rückgewinnung der Wüste – ein Projekt, an dem er später, nach der Staatsgründung Israels, mit seinen Ideen zur Bewässerung und Bodenbewirtschaftung selbst grossen Anteil haben sollte.

Steinwüsten und Malariasümpfe, wie sie das Land zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten, waren für Lowdermilk keine Naturgegebenheiten, sondern Ergebnis von Vernachlässigung und falscher Bewirtschaftung: «Eine arabische Legende erzählt uns: Es war einmal vor langer Zeit, da flog ein Engel, der einen Sack Steine trug, über Palästina. Der Sack barst und alle Steine wurden über die Hügel verstreut. Die wahre Geschichte liest sich ganz anders. Es war einmal vor langer Zeit, da waren die Hügel Palästinas mit fruchtbarer roter Erde bedeckt und von Wäldern, niederer Vegetation und Terrassen geschützt. Dann wurden die Bäume gefällt, die Terrassen wurden vernachlässigt, der fruchtbare Boden wurde vom Regen fortgespült, und am Ende blieben nur die Steine auf den Feldern zurück. Ein Teil der Erde, die von den Hängen weggespült wurde, lagerte sich in Tälern ab, wo man sie bewirtschaftete, bis sie allmählich in Erosionsrinnen weggespült wurde; der grössere Teil der Erde wurde bei Überschwemmungen ins Mittelmeer gespült. Dort wurde der Boden von Wellen sortiert, sodass feine Partikel weiter nach draussen aufs Meer gespült wurden, während der schwerere Sand sich nahe der Küste ansammelte und von Wind und Wellen zu grossen Dünen aufgetürmt wurde. Diese wiederum stauten die Wasserkanäle, sodass die Küstenebenen tödliches Marschland wurden, wo die Malaria das Land entvölkerte.»

Der Wandel zum Schlechteren sei erschütternd, schreibt Lowdermilk. «Wenn ein zufälliger Besucher heute einen Blick aus einem schnell fahrenden Zug oder Auto wirft, dann hält er die steinigen, semiariden und heruntergekommenen Verhältnisse von heute für normal.» Doch all diejenigen, die die Geschichte des Landes kennten, wüssten, dass dieser Niedergang nicht als der Normalzustand hingenommen werden müsse: «Sie können anhand der Ruinen von Terrassen und anderen antiken Arbeiten zur Bodenerhaltung erkennen, dass die derzeitige Trostlosigkeit Palästinas auf die Plünderung, Ausbeutung und Verwahrlosung der vergangenen Jahrhunderte zurückzuführen ist.»

Lowdermilk stellt diese «menschengemachte Wüste» – ein Begriff, den er in die wissenschaftliche Debatte eingeführt hat – dem Zustand gegenüber, wie er im 5. Buch Mose beschrieben ist: «Denn der HERR, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fliessen, ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt.»

Lowdermilk schrieb: «Aus Beschreibungen wie dieser, archäologischen Entdeckungen und auch aus meinen eigenen bodenkundlichen Studien, dem heutigen Klima, Überresten von Vegetation und anderen Faktoren können wir schliessen, dass das Land Israel in der Lage war, mindestens doppelt so viele Bewohner wie derzeit zu ernähren, und das auch getan hat.» Als jüdische Siedler anfingen, in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in das Land zu kommen, «lebten in dem Land nicht mehr als 300 000 Personen oder weniger als ein Fünftel der derzeitigen Bevölkerung», so Lowdermilk.

Mit grossem Enthusiasmus machten diese sich nun daran, aus der Wüste wieder fruchtbares Land zu machen: «Die Kooperativen und kollektiven Siedlungen verdanken ihren Erfolg nicht nur ihren wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auch der Hingabe ihrer Mitglieder an ihre Ideen und Prinzipien. Die Pioniere, die man in Palästina trifft, haben einen fanatischen Glauben an ihre Mission als Fackelträger einer jüdischen Heimstätte, gegründet auf der Basis produktiver Arbeit. Ihnen ist eine Ideologie eigen, die die Arbeit verherrlicht und sie als ein wesentliches Element des guten Lebens betrachtet. Dieser Glaube hat die Söhne und Töchter kleiner Ladenbesitzer dazu befähigt, sich in Arbeiter zu verwandeln, die willens sind, jegliche Art anstrengender körperlicher Arbeit zu verrichten, die für den Aufbau Palästinas nötig ist. Wir waren begeistert und inspiriert von den jüdischen jungen Leuten, die wir dabei antrafen, wie sie neue Kolonien auf felsigen Hügeln gründeten. Weit entfernt davon, sich als Märtyrer zu betrachten, waren sie glücklich, während sie sich mit Aufgaben mühten, die weniger mutigen Charakteren hoffnungslos scheinen würden.»

Wer war dieser Lowdermilk und was verschlug ihn 1938/39 ins Mandatsgebiet Palästina?

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 06/2019.