Heute kaum bekannt, wurden zwischen 1530 und 1780 über eine Million europäischer Christen von Muslimen versklavt. Historiker sprechen vom weltweit langlebigsten sklavistischen System.
Jörn Schuhmacher
22. August 2022

Beim Wort «Sklaverei» denken die meisten zuerst an die Millionen Schwarzafrikaner in Amerika. Doch Sklaverei gab es schon immer. Im Griechenland der Antike betrug der Anteil an Sklaven an der Bevölkerung rund 15 Prozent; das Alte Rom holte zwischen 200 und 60 v. Chr. etwa 500 000 Sklaven nach Italien, später waren es wahrscheinlich bis zu drei Millionen. Fast in Vergessenheit geriet eine Form der Sklaverei, die noch viel länger und in grösserem Umfang betrieben wurde: Die Ausbeutung christlicher Sklaven durch Muslime. Schätzungsweise zwischen eins und 1,25 Millionen europäischer Christen wurden zwischen 1530 und 1780 nach Nordafrika verschleppt und versklavt. Der Historiker Egon Flaig spricht vom «langlebigsten sklavistischen System der Weltgeschichte». Ein explizit islamisches «Wirtschaftssystem» des Menschenhandels immensen Ausmas­ses bis nach Zentralasien habe sogar über zwölf Jahrhunderte bestanden, so Flaig. William D. Phillips, ebenfalls Historiker, schreibt: «Wo der Islam am einflussreichsten war – Sahel und nördliche Savanne – waren die indigene Sklaverei, das Sklavenjagen und die Sklavenexporte am höchsten entwickelt.»

Weltwirtschaftssystem

«Als die Muslime ihr Weltreich eroberten, errichteten sie das grösste und langlebigste sklavistische System der Weltgeschichte», schreibt Egon Flaig in seinem Buch «Weltgeschichte der Sklaverei». Die islamische Sklaverei sei dabei im 19. Jahrhundert «beschönigt» worden, doch inzwischen habe die Forschung einige Vorstellungen korrigiert. «In manchen Regionen basierten einzelne Produktionszweige auf Sklavenarbeit», schreibt Flaig, der bis zu seiner Emeritierung 2014 an den Universitäten Greifswald und in Rostock Alte Geschichte lehrte. In Bergwerken, in der Landwirtschaft, im Handwerk, im Haushalt sowie im Militär wurden die Europäer ausgebeutet. Ausschlaggebend war die religiöse Pflicht des Dschihad, des Krieges zur Unterwerfung aller nichtmuslimischer Völker. «In einmaliger Schnelligkeit eroberten sie von 635 bis 720 ein riesiges Gebiet von Spanien und dem Senegal bis nach Indien, vom Tschad-See bis zum Kaukasus und Hindukusch.» So habe etwa der Wesir des vorletzten Kalifen von Córdoba, Al-Mansur, am Ende des 10. Jahrhunderts in 27 Jahren 25 Invasionen in die christlichen Gebiete Spaniens durchgeführt, «zerstörend, massakrierend, versklavend und verwüstend». Eine Politik, die den antiken Staaten «völlig fremd war», so Flaig.

Dieses Weltwirtschaftssystem der Sklaverei hatte Sogwirkung auf ganz Europa. Viele Mittel- und Osteuropäer beteiligten sich am Handel mit Menschen, die sie an Araber verkauften. Sie sahen etwa in den Slawen Ungläubige ohne Seelen. Die Deportation von Menschen war nach Flaig die wichtigste Verschiebung von Ressourcen überhaupt. Heutige Serben, Bulgaren, Rumänen, Moldawier, Weissrussen, Ukrainer, Russen und Georgier wurden zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert zuerst von den Franken und Skandinaviern gefangen genommen, und dann von den Venezianern und Genuesen weitergegeben. Das Wort Sklave (Englisch «slave») lässt sich auf das mittelalterliche lateinische Wort «sclavus» zurückführen, das im siebten Jahrhundert «slawisch» bedeutete. Die Republik Venedig (697–1797) habe sich auf den Transport von ganzen Schiffsladungen mit weissen Sklaven aus Nord- und Osteuropa nach Konstantinopel und vom Schwarzen Meer nach Nordafrika spezialisiert, schreibt der französische Historiker Alexandre Skirda. Prag diente lange Zeit als Sortierzentrum für die Kastration weisser Sklaven. Von 1450 bis 1700 wurden von der Krim aus 2,5 Millionen Menschen ins osmanische Reich verkauft. Seit etwa 1360 seien nach Flaig in unregelmässigen Abständen regionweise bis zu einem Fünftel aller christlichen Kinder in die Sklaverei abgeführt und zwangsmoslemisiert worden. Die Muslime erzogen die Kinder zu religiös fanatischen Elitekämpfern, aus denen die berüchtigten Janitscharen wurden, ein Korps von 30 000 bis 60 000 Militärsklaven. Der deutsche Historiker geht von 350 000 versklavten Christen pro Jahrhundert aus.

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