Der arabisch-muslimische Israeli Ahmad Mansour, ein Psychologe, lebt und arbeitet in Berlin. Er hilft jungen Muslimen bei der Integration und möchte sie vor dem Abgleiten in eine extremistische islamische Szene bewahren. In einem Beitrag für die Tageszeitung «Die Welt» berichtet er von einer befremdlichen, aber auch bezeichnenden Erfahrung mit einem muslimischen Gelehrten nach einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, bei der dieser für Frieden und Verständigung eingetreten war.
Thomas Lachenmaier
23. Oktober 2016

Ahmad Mansour nahm an der Diskussionsrunde mit dem Grossmufti von Ägypten als Programmdirektor der «European Foundation for Democracy» teil. Er berichtet: «Es ging um Toleranz und Frieden, ein interkultureller Dialog, all das Schöne und Gute, das wir uns als Demokraten wünschen. Tatsächlich hat der Grossmufti in vielen Beiträgen viel über die grosse Toleranz im Islam und das friedliche Miteinander gesprochen, über Akzeptanz der anderen und die Freundlichkeit der Frommen. Im Anschluss an die Diskussion wollte ich gern ein gemeinsames Bild mit dem Grossmufti machen. Aber er und seine Berater verweigerten sich.

Ihre Erklärung: Mit einem israelischen Staatsbürger, also mit mir, einem arabischen Israeli, wolle der Grossmufti nicht auf dasselbe Bild. Das war wieder eine der Situationen, in denen ich, sprachlos und traurig, die Doppelmoral meiner Glaubensbrüder erlebte. Wir sprechen beide arabisch, wir gehören derselben Religion an, wir waren beide bereit, miteinander zu debattieren, gute und versöhnliche Worte auf dem Podium zu sprechen, Worte, die das Publikum im Saal hören sollte und wollte. Und dann das. Der grosse Gelehrte hatte nach dem offiziellen Teil seine Masken fallen lassen und mir sein wahres Gesicht offenbart, was all seine schönen Worte auf dem Podium Lügen strafte.»

Ahmad Mansour ist Mit-Autor des Buches «Gewalt im Namen der Ehre» (Passagen Verlag, Wien) und Autor des Buches «Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen» (S. Fischer Verlag, Frankfurt).

(aus factum 7/2016)